Aus Drama wird Prosa

In meinem schriftlichen Abitur in Deutsch hatte ich die Wahl zwischen zwei Aufgaben: In der einen war ein Essay zum Thema "Warum lesen wir Literatur?" gefragt, das andere war eine Kreativaufgabe zu Georg Büchners WOYZECK. Beides waren sehr dankbare und interessante Aufgabenstellungen gewesen, aber die Kreativaufgabe, obwohl sie mir damals mehr gegeben hätte... ich hatte schlicht und ergreifend nicht die Hoden dazu, wie ich es damals nannte, "zwanghaft kreativ" zu sein. So schrieb ich diesen verdammten Essay, der mir auch am Ende nicht gut genug war, und verfasste später im Privaten meine Version der Woyzeck-Aufgabe. Ich habe sie beim Stöbern wiedergefunden.

Die Aufgabe: Zum Arbeitsauftrag gab es einen Text, nämlich die erste Seite aus Georg Büchners LENZ, welche sein einziges poetisches Prosa-Werk blieb, aber welches ich zu eines der genialsten Schriftstücke der deutschen Literatur zähle. Diesen sollten wir vorerst analysieren auf Sprache und Inhalt, bevor es dann mit der zweiten Aufgabe um die Prosa-Umformung einer kurzen, aber dramatisch wichtigen Szene aus dem WOYZECK ging. Es war klar, dass wir vorerst lesen mussten, wie Georg Büchner Prosa geschrieben hat, damit wir mit dem Wissen um das Drama und ihre Handlung, dem allgemeinen Wissen um den Autor und im Stile des LENZ dann diese Theater-Szene umschreiben konnten. Und uns danach erklären sollten. Hier nun meine Version.


Georg Büchners WOYZECK: Szene 13 (H4,12) - PROSA

Auf dem Felde nun stand Woyzeck. Rauschen aus dem Fluss, Wind in den Bäumen, und doch um ihn leere Ebene, ein freies Feld, mit so spärlichem, so gräulichem Bewuchs, über ihm ein totenblasser Himmel, nasskalt triefend. Am Horizont die Gebäude der Stadt, als wären es Ruinen aus ferner Zeit. Dort stand er, wo Erd und Himmel sich verengten und nicht mehr zu unterscheiden waren, wo zwischen den Horizonten eine gähnende Lücke sich breitete. Das Himmlische ging in das Erdige über, wie Tränen ergoss sich das Grau auf den Boden, nebelhaft verschluckend. Er hastete und suchte nach einer Antwort, er wollte fliehen, doch eher noch wollte er sich verflüchtigen. Immer zu, immer zu, rief er aus, vor Besinnungslosigkeit rannte er umher. Gemeinsam erklangen Rauschen und Pfeifen aus dem Traume einer Natur, wurden zu sphärischer Musik am Rande des Bewusstseins - er wurde ihr gewahr. Noch versuchte er alles zusammenzugreifen, noch kämpfte er um die Natur. Und wie so keine Trennung mehr stattfand, kein Halt mehr Boden und Himmel gaben, so fiel er unglücklich in das Spiegelbild der Wolken, fiel aus der Welt, die wie eine Schale ihren Sinn vergoss, fiel tief in das Schwarze des Universums, wo jeder Stern wie ein Diamant funkelt und doch nur ein totes Stück Metall ist, durchdrang jeden Raum, zerfloss durch alle Zeit; kein Mensch konnte ihn auffangen, keine Liebe erretten, kein Gott behüten - und er reckte sich gegen den Boden. Das Gras flüsterte ihm zu, doch er verstand es nicht, mahnte es, lauter, lauter! Die schneidende Kälte, die nasse Erde flüsterten ihm abermals zu, stich die Zickwolfin tot. Stich, stich die Zickwolfin tot, dies vernahm er und sprach sie unwohlig wiegend auf seiner Zunge vor sich hin, aber er hinterfragte, soll er, muss er? Der pfeifende Wind züngelte scharf an ihm vorbei, stich die Zickwolfin tot, mach dich frei, sei Spender und Zerstörer von Atemzug; und im Chor sprachen die Gewalten auf ihn ein, so hörte er nur noch ihre schaurigen Stimmen immer zu, stich tot, Woyzeck, tot.


Im Original, wie im Reclam-Heftchen aufzufinden:

Freies Feld.

Woyzeck.

Immer zu! immer zu! Still Musik. - (Reckt sich gegen den Boden.) He was, was sagt ihr? Lauter, lauter, stich, stich die Zickwolfin tot? stich, stich die Zickwolfin tot. Soll ich? Muss ich? Hör ich's da noch, sagt's der Wind auch? Hör ich's immer, immer zu, stich tot, tot.

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