Bekenntnisse
"Du trinkst kein Alkohol?!"
"Du hast noch nie in deinem Leben was getrunken?!"
"Find ich cool."
"Aber das macht man doch."
"Und warum?"
"Nicht mal genippt?"
"Komm, nur ein Schluck!"
"Du bist der Übermensch!"
Das Erstaunen ist groß in den Gesichtern der Menschen. Als alle anfingen zu trinken, haben sie alles dafür getan, dass ich doch mit trinke oder zumindest einen Schluck von ihrem versifften Bier oder ihrer frühreifen Wodka-Cola-Mischung nehme. Es finden sich Zeichen von Unverständnis, Misstrauen und Aggression auf ihren Fratzen, Schmunzeln und Stirn-Runzeln, aber mit der Zeit und Reife fast ausschließlich nur noch Ungläubigkeit, Erstaunen, immer öfters sogar Respekt. Der Mensch und Alkohol. Die Gesellschaft und der Rausch. Mittlerweile habe ich ein Alter erreicht, wo ich extra erwähnen muss, nie in meinem Leben getrunken zu haben - zu stark ist meine selbstverliebte Sorge, dass die Menschen mich für einen eventuellen Ex-Alki halten könnten, der nicht rückfällig werden darf, da er sonst seine Bewährung verkackt und seine Frau mitsamt Kindern im schäbigen Wohnheim alleine lässt.
Dies ist nun ein Bekenntnis, eine Memoir - eines Nicht-Trinkers.
Anti-Alkoholiker nennt man mich im Fachgesimpel, aber ich bin nicht anti gegenüber dem Alk eingestellt. Doch schon einige Individuen haben geglaubt, ich würde gegen den süßen Rausch im Allgemeinen sein, und haben sogleich eine Abwehrhaltung mir gegenüber eingenommen. Zu dieser Geschichte gibt es viel zu erzählen, und weil es eben ein längst überfälliges Bekenntnis ist, sollte ich wie jede unendliche Geschichte da anfangen, von wo aus jeder gut folgen kann: vom Anfang.
"In Germany", so meine Erläuterung gegenüber ausländischen Fragern, "the people start to drink quite early." Ich weiß nicht, ob das so signifikant stimmt im Vergleich zu anderen Ländern, zumindest was die westliche Welt betrifft, aber es klingt cool und leitet einer meiner Thesen ein, warum ich kein Alkohol trinke. Als ich und meine halbstarken und möchtegern erwachsenen Klassenkameraden 13 waren, fing es an. Sie wollten sich abfüllen, feiern, fummeln, anscheinend auch kotzen, Filme reißen lassen, cool sein. Von Haus aus habe ich eine gute Beziehung zu meinen Eltern und mein ganzes Wesen beruht auf meiner elterlich-gebürtlichen Schöpfungsgeschichte. Jene waren es demnach, die mir nicht umbedingt verboten haben, Alkohol zu trinken, aber mir zu verstehen gaben, was sie davon hielten. Sie sprachen in der Zeit offen und aufrichtig zu einem jungen Menschen, und so gab er das Versprechen kein Feuerwasser zu trinken, bis er alt genug sein würde. Der erste Grund, warum ich kein Alkohol trinke (notiert euch das), war das Vertrauen in die Aufrichtigkeit meiner Eltern und den gesunden gegenseitigen Respekt.
Selbst Freunde werden zu Feinden, wenn sie etwas nicht bekommen, was sie bekommen wollen. Während alle lustig und besoffen ihren Rausch wie die Priester Scientologies offenbarten, musste ich mich immer wieder verteidigen, warum ich den Scheiß nicht anrühre; wie in einem Gerichtssaal, nur wo die Tische voller Glasflaschen waren und irgendwo im Garten es nach Erbrochenem roch. Es waren Fremde wie Freunde, die mich verführen wollten, ein Dionysos nach dem anderen. Was ich nicht ab kann, ist mir mit Zwang und Nachdruck zu kommen. Eine anti-autoritäre Einstellung. So begann über viele Jahre hinweg die Odyssee des Revoltaires, der sich mit allen Mitteln und Argumenten gegen die feindlichen Hydroxid-Angriffe zu wehren lernte und seinen Charakter an der Schmiede der "verborgenen" Seite der Schulzeit schärfte. Damals konnte man mich tatsächlich einen Anti-Alkoholiker nennen, so brutal und aggressiv ging auch im Gegenzug vor, verurteilend und moralisch vernichtend in sowjetischer Manie. Der zweite (und mein liebster) Grund für meinen Nicht-Konsum ist also die revoltierende Gegenhaltung gegenüber meiner eigenen Generation und der Masse. Es sind nicht meine Worte, als mal jemand zu dieser These bemerkte, dass es großen Mut und besondere Stärke beweist, sich gegen sein eigenes Umfeld und sogar seine nächsten Freunde zu behaupten, für ein Ideal, für das ich einstehe. Lasst mir hier den Lob, es ist eines der paar Dinge, auf die ich wirklich stolz sein kann.
Um die Story mehr mit Humor zu füllen: Ich war nicht ehrlich, als ich mich selbst in mein 13. Lebensjahr zurück katapultierte, um der Suche für mein Verhalten auf den Grund zu gehen. Ich müsste einen Schritt früher treten. Tatsächlich habe ich leichte Erfahrung mit dem Gefühl der Trunkenheit. Ein, zwei Jahre zuvor habe ich meiner Natur entsprechend einer anderen Droge gefrönt, nämlich den Kohlenhydraten, und eine Portion Tiramisu war mir nicht genug, sodass ich heimlich in endloser Dekadenz zwei weitere vernaschte. Als mich kurz danach ein seltsames Schwindelgefühl plagte, was schon komisch gewesen wäre, wenn die Kopfschmerzen nicht dazu mich wie Barbecue aufgespießt hätten, fand ich heraus, dass im Tiramisu Alkohol enthalten war. Klar, Tiramisu enthält diese Zutat natürlicherweise, aber in dem Fall war es wohl doch etwas mehr, als für ein Kind gut wäre. Unpleasant ist untertrieben, ich musste mich schlafen legen und hoffte, dass das irgendwann in meinem ganzen Leben (!) wieder weggeht.
Der Nicht-Konsum wurde mit der Zeit mein Ding, mein Markenzeichen. Meine Freunde kamen damit dann doch sehr schnell klar, aber jede neue Begegnung auf Parties, Feiern, Konzerten, Straßen, Bars zog die Frage nach sich, was ich trinken wolle, und als ich artig abwies, bezog sich das Gespräch immer wieder darauf. Mal hatte ich die Extra-Aufmerksamkeit satt, mal hatte ich meine Lust daran. Besser ist jedoch, was ich da über unsere Gesellschaft gelernt habe.
Tatsächlich akzeptieren es die meisten, einige wenige reagieren nicht mal drauf (was mich zugegeben manchmal selber irritiert und in meinem Stolz kränkt), und dann gab es auch wieder die Begegnungen, die mich verstörten. Die Menschen, die es nicht akzeptieren wollten und sich angegriffen fühlten. Es war, als ob ich deren Wesen damit direkt und abfällig bewertet habe und somit ihre ganze Daseinsberechtigung in den Fleischwolf warf. Don't you judge me! Ich war ein Alien, das deren Planet totalitär besetzen wollte, sie wurden zu ihrer eigenen ukranischen Krim und ich der Putin des Nicht-Konsums. Ihren Anmerkungen und Gesichtsausdrücken habe ich ihre existenzielle Angst leicht entnehmen und ansehen können; auch wurde ich mit Nachdruck zum Trinken beherzigt, manchmal so penetrant, dass ich von dieser versteckten Aggression eingeschüchtert war. Ich wusste nie ganz, wie die Person mir gegenüber darauf reagieren wird. So ist es überhaupt, ich könnte eine Meme von mir selbst erstellen mit der Aufschrift: "This awkward moment, when someone wants to have a drink with me."
Mittlerweile sagt keiner mehr was, aber das Erstaunen ist dennoch mega groß, auch gerade seit ich in die Studentenwelt eingetaucht bin. Wieso nenne ich mich Surrealist? Sicherlich wegen meiner Interesse an dem Thema und meiner geistigen Einstellung, aber ich habe auch nun den Sprachgebrauch vom "Surrealisten in mir", der ab und zu rauskommen will. Sport und Rock-Konzerte haben mich früher mehr auf Trab gehalten und vielleicht auch davon abgehalten, tatsächlich mal einen Schluck zu probieren. Der Punkt, an dem ich noch Alkohol aus fast schon wissenschaftlich-psychedelischer Neugier trinken würde, ist jedoch auch überschritten. Eine ganze Erfahrungswelt, der ich nicht zuteil wurde und die ich daher nicht vermissen kan, reizt mich in der Hinsicht auch nicht mehr. Nein, es ist schlimmer mit mir. Als ich die Schule vernichtet zurück ließ, hoffte ich auf eine Utopie von interessanten und coolen Menschen in der Universitätswelt. Sorry, dass ich die meisten von euch enttäuschen muss. (Doch, es gibt sie, ich liebe sie alle, aber leider gibt es diesen Typ im viel geringeren Maße als erhofft.) Es gibt zwar die, mit denen ich gerne klar komme, aber wo uns eine Kluft in der Straße, die Streetart-Illusionisten gezaubert haben, daran hindert, jemals enge Beziehungen aufzubauen. Aber mit den meisten kann ich nichts anfangen, sowie sie fairer Weise auch mit mir nichts anzufangen wissen. Doch Uni-Parties, Semesterfeiern und Kurs-Erfolge schmelzen uns zusammen. Naja, der Alkohol schmilzt die Menschen zusammen. Prinzipiell müsste ich also auch hier in die Isolation getrieben werden. Aber es gibt ein Aber, ein großes ABER. Denn ich bin dem Alkohol dankbar.
Wenn mich neuerdings Leute fragen, warum ich nichts trinke, habe ich nach Jahren der Erfahrung und der Erklärungsversuche von Try-And-Error nun ein sehr einfaches, vielleicht auch stupides, aber wirkungsvolles Argument gefunden:
"Ich trinke nichts, weil ich ein bisschen kaputt bin im Kopf. Wenn ich etwas trinken würde, könnte ich entweder ganz langweilig und unbrauchbar, ja sogar nüchtern werden, oder aber die Welt könnte untergehen. Beides wollen wir nicht."Das Prinzip heißt Demaskierung. Je angetrunkener die Menschen werden, umso lockerer gehen sie mit dir um, reden mehr, werden witziger und offener. Das ist im Endeffekt der Grund, warum die Menschen Alkohol trinken. Sie werden so, wie ich bin, und das nutze ich schamlos aus, um selber mich so zu verhalten, wie ich es privat tue, auch wenn es manchmal heißt, seltsames schizophrenes LSD-Gebelle guttural von mir zu geben, Selbstgespräche zu führen und schlimmer als jeder Cocaine-Freak zur Musik abzudriften. Einziger Nachteil, wo ich den Alkohol-Konsumenten neide, ist die Zeit, die verstreicht bis zu diesem Moment des völligen Loslassens. Ich brauche meine zwei, drei Stunden sowie gute Zünd-Erektionen, was mit C2H5OH tatsächlich in einer halben Stunde erreichbar ist. Whatever - der Preis für meine Geduld ist ein Eintrag vom tollen Abend zuvor in mein Notizheftlein und das blitzartige Umschwingen in potenziellen Gefahrensituationen, wenn ein besoffener Bruder mir oder einem anderen angetrunkenen Mitstreiter eine verpassen will, und ich Martial Arts Style dazwischen greifen und die Bombe entschärfen kann. Außerdem ohne den Elektrolyt-Verlust und mit mehr Geld übrig für andere Drogen.
Mir gefällt mein dritter Grund, dass ich als Kind anscheinend in einen LSD-Pool gefallen bin, recht gut. Meine eigentliche Kaputtheit als Vorwand ist Grund Nummer 3.
Was steht aus? Werde ich in meinem Leben jemals noch Alkohol trinken? Ich sage euch was, und mache es hier offiziell: Never say never! Wenn es etwas gibt, was mich überreden kann, ist es der gewisse STIL und richtige GENUSS. Eine andere witzige Party-Anekdote, die ich gern von mir gebe, ist der Tag, als ich ganz aus Versehen einen Schluck zu mir nahm. Ich kam nach Hause von einem der Schultage, wahre KILL BILL-Filmstimmung im Sommer, als ich eine offene RedBull-Dose und ein Tumbler-Glas daneben vorfand, gefüllt mit dem spritzigen, blasigen Gold des Energydrinks. Ich setze an und genehmigte mir den Schluck. Es brannte auf der Zunge und im Rachen, ein Brennen, was ich als interessant und angenehm empfand, so intensiv, wie nicht mal stark Kohlensäure-haltige Getränke schmecken. Ich dachte nur: "Damn, lange kein RedBull mehr getrunken, wusste gar nicht mehr, dass es so stark brennt." Und da kam meine Mum in die Küche, erfasste die Situation, verstand sie schnell und meinte zu mir, dass ich gerade RedBull-Wodka probiert hätte. Dieses fiese und doch liebe Schmunzeln auf den Lippen meiner Mutter. Mehr als ein Schulterzucken habe ich dem nicht gegeben, und seitdem kann ich dies als Anekdote verwenden.
Was aber noch geblieben ist, sollte die angenehme andauernde Erfahrung dieses Brennens sein. Ich mag den Alkohol-Geschmack nicht, aber in dem Moment habe ich das gar nicht gespürt, und ich schwöre, dass ich mit meiner Nase und Zunge Alk wie ein Drogenhund erschnüffeln kann. Zudem liebe ich Tumbler, also Whiskeygläser, einfach vom Feeling und Design her. Und Hank Moody aus CALIFORNICATION. Wenn schon, denn schon, also werde ich mir wohl früher oder später Whiskey gönnen, solange es mit Stil passiert und ich mir sicher sein kann, danach weder allzu freundlich noch zu lustig flirtend zu sein und von einem Moment auf den anderen in einem Meer aus Vaginalsekret & Kotze zu landen. Den Rausch hole ich mir woanders, nur der stylische Genuss liegt mir im Sinn.
Sicherlich könnte ich noch viel mehr intellekteuelles Zeug zum Thema Rausch, Dionysien, Gesellschaft und Alkohol und das tiefe Wesen des Menschen schreiben, aber für's erste sollte diese Bekenntnis eines Übermenschen, dessen Blut bisher nicht vergiftet und Neuronalzellen keine Ausmerzung im nassen Genozid erlebt haben, im Fluch & Segen des Alkohols, ausreichen. Mein Standpunkt ist klar, die nächsten, die fragen, ob ich WIRKLICH kein Alkohol trinke, verweise ich gern auf diesen Blogeintrag. Und ihr, die es immer mal ausführlich von mir wissen wolltet, könnt die Gerüchte weitertragen, die hiervon ausgehen.
Meine kleine, aber feine Liste von Dingen, warum es ein guter Grund ist, niemals mit dem Alkoholtrinken angefangen zu haben:
1. Ich liebe meine Eltern.
2. Schlechte frühkindliche Rausch-Erfahrung.
3. Alkoholismus in der Familie (medizinisch gesprochen).
4. Widerstand leisten gegen die Masse.
5. Zu teuer.
6. Alkohol-Geschmack an sich ist nicht angenehm.
7. Kontrolle behalten.
8. Wir sind alle kaputt im Kopf, dafür brauchen wir Alk nicht, sondern müssen uns nur öffnen.
9. Besoffene mit gutem Gewissen auslachen können.
10. Anthropologische Studien auf Parties.
11. Sex ist geiler, wenn man weiß, was man da tut.
12. Keine Überraschungen 9 Monate später.
13. Trockene Kleidung.
14. Man ist individuell (das heißt aber, dass alle anderen schön weiter trinken müssen)!
15. Keiner kann dir Roofies in deinen Drink einkippen (in Cola-Flaschenist schwieriger).
16. Das Mädel/ Der Junge riecht nicht nach Glasreiniger aus dem Mund.
17. Du wirst kein depressiver Abfuck auf der Party (die schlimmste Sorte von Alkoholisierten).
18. Keine Schrulle im Bett am nächsten Morgen.
19. Einfach ein gesünderes Leben.
20. Keine Penisse und Hitler-Bärtchen mit Edding auf's Gesicht gemalt bekommen.
21. Nie mehr wie Picasso aussehen.
Gegen diese Liste spricht wiederum vieles, denn wenn der Verstand ausgeblendet wird, können die lustigsten Geschichten passieren. Deswegen sage ich ja, ich habe nichts gegen das Trinken, manchmal fördere ich es sogar. Einige Menschen sind nur halb so witzig, wie sie durch das Besäufnis werden, und dieses Potenzial, das in diesen Menschen steckt, darf nicht links liegen gelassen werden. Ich habe schon oft mit Betrunkenen glorreich lachen können, was so ohne Alkohol nicht möglich gewesen wäre. Dadurch werde ich wiederum zum Chronisten, um die Puzzlestücke wieder zusammenzufügen, die der Betroffene verloren hat. Vielleicht bin ich ja nicht Engel, sondern Teufel auf der anderen Seite der Schulter...
Kommentare
Kommentar veröffentlichen