Nett

Jeder kann nett sein. Merkt euch das.
 
Es ist bei weitem keine Qualität mehr, die einen Menschen besonders auszeichnet. Nett ist nur der erste Eindruck, Nett ist eine Sammlung von "im Moment nicht scheiße". Aber Nett ist auch oberflächlich, nicht immer aufrichtig und schon gar nicht erstrebenswert. Wenn ich jemanden höre,  der von einer anderen Person als nett spricht, wabert die gewisse Klangwelle von "uninteressant" und "belanglos" mit. Wenn euch jemand als nett deklariert hat, habt ihr schon die erste Schlacht verloren. Mit Nett kann man nur schwer was anfangen. Es kann sogar das Gegenteil bedeuten, wie eine moderne Volksweisheit aussagt: "Nett ist der kleine Bruder von Scheiße." Damit hängt zusammen, dass Nett eine Wertung beinhaltet. Es sei denn, Nett wird erweitert durch ein zusätzliches Adjektiv: Nehmen wir süß! Dann ist das erste Nett nur eine Bestätigung des guten Eindrucks, aber worauf es wirklich ankommt, ist das Süß. Freundlich wäre eine angemessene Beobachtung, ohne eine Wertung vorzunehmen; interessant ehrt den Menschen gegebenfalls sogar, ob im Guten oder Schlechten sei whatever. Aber nett? - das hat bereits etwas Abfälliges an sich, so mit der Arroganz über andere nur mit einem Wort zu richten. Die Guillotine des guten Geschmacks. Der Kopf ist weg, armer Kerl, der war ja so nett.

Ich verzichte auf Nett-sein. Das überlasse ich den Schleimern, Arschkriechern, Bourgoisen, Kecks und Hinterfotzigen. Charaktere werden nicht nett, sie werden entweder Arschlöcher oder aufrichtige, offene Menschen. Sie haben die Kanten und Ecken für mehr Form und Textur im Leben, ihnen fehlt es nicht an Substanz, zumindest zu einem gewissen Maße nicht. All die "netten" Jungs aus der Schulzeit, die nur nett sein konnten, blieben ungefickt. Es braucht nämlich ein wenig mehr als das, es muss auch ein wenig Verwegenheit ins Spiel kommen. Gerade wenn es um die Liebe seines Lebens geht. Nett-sein wird sie nicht überzeugen. Sie wird ihm zum "guten Freund" machen, mit dem roten Stempel als asexuelles Etwas zerdrücken und letztlich mit Haltbarkeitsdatum solange auf der Hinterseite des Collegeblocks ihren kreativen Spaß mit ihm haben, bis er gegen einen neuen Block mit einem neuen Cover ausgetauscht wird. Dann wird er verletzt sein, weil er zu nett war.

Kann man "zu nett" sein? Gibt es eine Steigerung des Übels aller Adjektive? Wohl eher nicht, und das ist ja gerade das Problem an diesem Wort. Es hat keine Bandbreite, es ist fast schon dimensionslos, und ein Mensch ist dimensionslos, wenn er nur nett zu sein scheint. Worauf ich hinaus will: Es ist diese Durchschnittlichkeit, die mich am Netten so peinigt, eine Durchschnittlichkeit, die über das Durchschnittliche hinaus geht, sozusagen die Idee des Durchschnittlichen. Kaum ein Mensch kann den Gedanken an seine eigene Durchschnittlichkeit ertragen. Und so ist es absolut nicht fair, ja sogar menschenverachtend, trotz des geringen Teils der Einzigartigkeit in einem selbst, die Macht in Anspurch zu nehmen, die Nettigkeits-Guillotine rauszuholen. Bemüht euch um andere farbenprächtige Begriffe, um einen Menschen bewusst zu machen, und begrabt das Nett - haltet es jedoch als Waffe bereit, wenn ein anderer euch schaden will als netter Wolf im Schafspelz der Nettigkeit.

Denn ihr sollt nicht nett sein!

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