Ey man, wo ist Q-Tip?


Am Anfang jeder großartigen Gute-Fucking-Nacht-Geschichte steht Moscow Mule - an dieser Regel sollte ich halten. Will ich, dass irgendeine krasse, geile Scheiße abgeht, von Halluzinationen, über abgefahrene Gespräche bishin zu Epiphanien der Freiheit, so ist Moscow Mule das golden-saure Schmiermittel zu dieser Eskalation. So auch an einem Wochenende in Hannover, in der ich Besuch von neuen alten Freunden bekam. Neu, weil sie zu meinen Studiumsfreunden gehören; alt, weil ich sie wieder verlassen musste. Aber ersetzbar sind sie auf keinen Fall. Der rote Zorro und die kawaii Vietcong. In meiner fabulösen Studentenbude im Turm des Künstlers fing die Party an, ein kunterbuntes Zudritt von unterschiedlichen, aber je besonderen Musikgeschmäcken. Wir tanzten und machten dämliche Videos und Fotos davon, was niemals für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Es begann ADVENTURE TIME.

Der erste Stopp in dieser adoptierten Stadt von mir war eine Bar in der Innenstadt. Bisher habe ich diese von meinen in den Armen installierten Feuerwerfern verschont, aber das wollte ich in einem glamourösen Mix aus Surrealismus, Sternenstaub und Regenbogenlicht ändern. Mein Ziel war das OSCAR'S. Und mein Ziel war gut, denn wo bekommt man schon in dieser Stadt zu einem absolut genialen Art Deco-Ambiente wie in den Goldenen 1920ern den besten Drink, der zum Genießen statt zum Saufen auffordert. Zugegeben, wir gehörten wohl zu den jüngsten Trinkern dort, aber was macht es schon, über den Tellerrand hinauszuschauen und mit einem überaus wohlherzigem Ehepaar in ihren jungen 80ern über Reisen nach Kambodscha, heute sowie damals, zu sprechen. Wir Drei waren die Musketiere ohne d'Artagnon, den haben wir uns einverleibt, um übermenschliche Kräfte zu gewinnen. Wir verlassen das seelige OSCAR'S, nachdem uns der Weimarer Republikanische Meister-Barkeeper mit der Glatze einen puren Wodka mit ausgepresstem Ingwer und Limone zur Glorie schnell für den Weg gemixt hat. Wer zu dieser Zeit dort das Pflasterstein getreten hat, muss einen seltsamen Cadavre exquis aus roten, stolzen langen Beinen, einem maskulinen Körper mit Krawatte und Jacket, und einem asiatischem Mädchen-Kopf mit langen Vampirschwarzen Haaren begegnet sein. Unser Stapel-Selfie machte sich gut. Das Resultat ist ein epischer Glücksmoment. Es war DANCING TIME.

Auf dem Weg zur nächsten Party liefen wir am Park des Opernhauses vorbei, wo ich lauthals die Leute nach Pilzen fragte. Es war ein Scherz, aber einige nahmen es nicht so ausgelassen, tatsächlich schien der Park an der Oper voll von Druffis zu sein. Einige boten mir statt Pilzen einen Heroin-verwandten Stoff an, andere griffen sofort mit einem "Na klar" in ihren Taschen, um da irgendwas rauszuholen. Was genau, das habe ich in der Geschwindigkeit meiner Laufschritte nicht mehr gesehen. Die meisten waren gelassen, doch ein Duo von Faschisten wurde furchtbar unangenehm und ich hätte beide beinahe slayen müssen.
Wir kamen dann beim Schauspielhaus an, wo gerade heute zufälliger Weise DJ Q-Tip auflegen sollte, wie wir verstanden haben, tatsächlich der Q-Tip von der alten Hip-Hop-Band A Tribe Called Quest. Sechszehn Euro verpufften so im Nichts, und wir mischten uns unter ein Party-Volk, das vor Langeweile und Snobismus förmlich auf der Stelle klebte. Die Musik war soweit noch nicht von Q-Tip aufgelegt, eher sehr dröge Yach-Electro, die Location war ein modernes, schickes Theaterfoyer, doch das Publikum ohne Seele. So sah die Hölle der Langeweile aus.

Aber das gab mir den Kick.

Ich merkte, wie frei ich war, wie langweilig alle die hier, und wir im Kontrast zu denen quasi dazu aufgefordert wurden, diesem Elend ein Ende zu bereiten. Wir Drei mussten uns um niemanden scheren, wer wir sind, was wir hier machen. Es war tatsächlich diese Epiphanie der Freiheit, die ich anfangs erwähnt habe, es war die absolute Scheiß-auf-alle-Attitüde, das Sprengen der Ketten im Namen der Originalität und der Authentizität. Die Existenzialisten rufen mir zu: "Du bist endlich wieder EIGENTLICH, mein Lieber!" Und so konnten wir uns Regenbogen übergebend von dieser weißen Lamo-Hölle wegreißen und im kleineren Foyer eine Etage tiefer einem dunkelroten Erlebnis frönen und zur interessanteren Mucke tanzen. Schon mal vorab: Q-Tip ist wohl nie aufgetreten, daher sechzehn Euro verpufft. Dort waren auch andere Rogue People, die wohl wir wir statt Linden ein Innenstadt-Abenteuer aufgesucht haben, aber enttäuscht wurden. Mit denen haben wir das Debakel einer Party verlassen und sind als größere Truppe nun stärker und vor allem hungriger bis zum Steintor gelaufen. Was hat diese Nacht uns nicht alles gekostet soweit: eine zerrissene neue Hose, ein verloren geklautes Smartphone, kein oldschool Hip Hop. Aber der Döner war lecker.

Es musste noch ein letzter großer Schallangriff geschehen, und was ist da nicht besser geeignet, auf alle zu scheißen, als die SANSIBAR, wo sich Verzweiflung und Langweiligkeit zu einer noch zäheren Masse verschloss als schon im Party-Debakel des Schauspielhauses. Gelegen in der Reeperbahn-Attrappe Hannovers, wo vermeintliche MILFs sich in unsere Kreise zu tanzen versuchten, wo meine schwarze Sonnenbrille alle zu provozieren schien, was mir wiederum mehr und mehr Energie gab, um meine Provokation noch weiter zu treiben. Keiner konnte mir das Wasser reichen. Dann stieß ich mit jemandem kurz zusammen, und ich erkannte meinen Fehler und verbeugte mich mehrmals wie ein Adelsmann. Doch anscheinend hatte das Mädchen ein Problem mit mir, ihre erbärmlichen männlichen Begleiter waren diese Zombies, die hier sonst alle auf einen letzten Stich hofften, und eine Diskussion, die bei der verkackten Musik nicht ein Ohr erreichen konnte, war aussichtslos. Einer der Dudes dieser Gruppe kam dazu, mich mit dem ältesten und ungeschichtesten Trick aus seinem Kreis stoßen zu wollen, und zwar mit seinem Arsch. Ich fand diese Aktion so bescheuert, und - ich muss es einfach sagen - so gay, dass ich ihm von hinten mit beiden Händen die Nippel streichelte. Das fand der auf einmal gar nicht komisch, und es kam fast zu einer Konfrontation. Ich hielt ihm mit dem Arm an der Brust noch zurück, aber in mir zitterte so ein Wackel-Dackel in der Form eines Teufels, eine dunkle Seite, die mich abseits meines Jedi-Gelübdes verführen wollte. Es lüstert in mir, meine Macht einzusetzen. Zum Glück kam einer meiner Leute dazwischen, bevor es noch böses Aua gab. Am Ende wollte ich dem auch nichts tun, wie sich herausstellte, ging er nämlich auch gut genug zur schlechten Musik ab wie ich, also habe ich mit ihm im Geiste Frieden geschlossen und verzeihte ihm seinen groben Fehler.

Was ich geerntet habe, ist dieses absolute Gefühl der Eigentlichkeit. Das bedeutet: Ich bin ich, ohne mich von irgendwelchen Konventionen einriegeln zu lassen, vor allem weil diese Konventionen von anderen geschaffen wurden. Sonnebrille im Club? Leider geil! Nur in Deutschland ist es verpönt, aber so nicht im Ausland, so nicht in früheren Zeiten. Warum soll ich mich an diesen tristen Authentizitätsversagern orientieren?

Lou Reed? Sonnenbrille im Club.
Andy Warhole? Sonnenbrille im Club.
Corey Hart? Sunglasses at night.

Nur keine Spur von Q-Tip bis zum Ende der Nacht.
Radikal!





Kommentare

Beliebte Posts