Musik & Sex im Zeitalter der Ultraromantik

Immer wenn ich Sex mit irgendwas Bedeutungsvollem vergleichen wollte, war es die Musik, die sich mir anbot und in den Vordergrund rückte. Ihr Rhythmus, ihre Melodie, ihre Worte, ihr Klang. Aber auch ihr Handwerk: Musik ist an sich schon etwas Körperliches, ob die Stimmbänder beim Singen, die Fingerkuppen beim Saitenzupfen, die feine angemessene Bewegung der Handgelenke, wenn eine Frau ihren Bogen auf den Körper eines klassischen Holzinstruments führt. Und sie ist erhaben. Ein Auffangglas für allemöglichen Gefühle, gefiltert durch Rausch und Form. Sie dringt direkt in unser Bewusstsein und weiß sie zu ändern, wie der Schein der Sonne oder des Lagerfeuers in einer sonst dunklen Welt. Zwischen Sex und Musik liegt nur ein anderes Medium und eine andere Herangehensweise. Jeder Körper ist ein feines Musikinstrument aus der Zukunft, irgendwie bionisch und weitab vom Verständnis eines vergangenen Intellekts. Aber doch - scheinbar ganz von selbst beginnt der Körper zu vibrieren, er beginnt seine futuristische - und doch die älteste - Musik von allen zu spielen. Wenn Körper sich verlieben, sich berühren, sich in Beziehung miteinander setzen und damit das vereinen, was wir alle meistens zu sehr im Alltag vermissen: die Seele. Die Seele ist etwas Erhabenes, und Musik ist es auch, sie ist etwas Intimes, in beiden Fällen, und sie ist etwas Allumfassendes, auch wenn es nicht jeder so haben will. Unser Wort für Liebe ist nicht rein sexuell, vielmehr die tiefste Instanz, die sich durch die Wärme und körperliche Lust erreichen lässt. Etwas bricht auf und eröffnet einen Riss, doch damit kommt erst das Licht hinein, wie Leonard Cohen schon schrieb.

Andere Musik darf da gerne unterstützend mitlaufen. In den Clubs unserer heutigen Zeit ist es das Hämmern und Pressen des elektronischen Taktes, das uns in den Dance Modus versetzt und aufgeilt, der Alkohol das Berauschungsmittel, um uns überhaupt auf die Tanzfläche zu treiben. Es fallen die Hüllen der Vernunft immer als erste. Sie bekundet Interesse, er stellt den Körperkontakt her, vice-versa, und wie es kommt, so wird es kommen, panta rhei, sie haben sich geküsst. Die Dunkelheit des Clubs ist ein Schutzmantel. Jeder weiß, wofür die Menschen hier hauptsächlich kommen, und sehen auch ohne Licht, was sich im Schatten unter der Kleidung abspielt. Die andere Situation ist aber umso schöner, die Intimität in einem Raum, den wir nur für uns zu Zweit, dem Körper und der Musik allein teilen können. Das Dröhnen wird ersetzt durch das Stöhnen, damit auch das Hauchen gegen die Elektronika.
Die Erotik besonderer Künstler, nur um ein paar Beispiele zu nennen: Lana Del Rey - Leonard Cohen - The Weeknd - The XX.
Eine Spotify-Liste nur für die wahren Genießer. Sicher, die Realität kann auch anders aussehen, aber darum geht es nicht. Selbst wenn es nur für eine Nacht ist, nur für einen kurzen Augenblick, ob Sex oder allein nur der Kuss, es war von wert, es war bestimmt. Zu oft ist Schmerz und Angst ein Folgegefühl, und das ist die wahre Tragödie, da der magische Moment gegen die Realität nicht Stand hält. Auch wenn die Gefühle dann nicht weniger real waren. Die Tragödie als solche, das dramatische Schauspiel als auch die ganze Literatur, hat ihren Ursprung in diesem Schnittpunkt, wenn alles zusammenfließt, sich Schwänze und Fotzen leicht errötet finden, um das Leben und den Tod zu preisen. Die Dionysien, die schamanischen Feste des alten, alten Griechenlands, in denen Musik und Wein und Rausch und Sex die Leute vereinten und sie gleichzeitig ihrer tragischen Menschheitsgeschichte vor Augen hielten. Daher ist Sex auch Tragödie, Musik ist Tragödie, Literatur ist eine absolute Rock’n’Roll-Tragödie.

"weirdly dirty" auf Impossible 600 Film
Aber so nah am Abgrund lässt sie uns erkennen, dass wir leben. Todesnah heißt nicht sterben zu wollen, sondern das Leben erst einzufangen. Berührungspunkte mit den Frauen udn Männern in unterschiedlichen Situationen, wo wir uns mit Genuss in diesen Abgrund wagten, spricht mehr als nur fließende Wichse und feuchte Mösen. Keine Frau, kein Mann ist ein Objekt, es ist jedes Mal ein Halluzinogen und ein spiegelndes Subjekt. Dass dabei nicht manchmal nur ein eigener tiefer Schmerz betäubt wird, steht außer Frage, und gegenüber der Vertrautheit einer Seele, die Splitter davon immer bei sich tragen wird, ist keine rein sexuelle Beziehung von Dauer. Aber jede einzelne ist eine wertvolle Seelenanalyse, ein Schatz, den uns keiner nehmen kann. Menschen, die schüchtern dann wild waren, oder erst wild dann schüchtern. Menschen, die still genossen oder in voller Lust aufblühten. Jede Besonderheit wird erkundet, jeder einzelne Mensch ist seine eigene Art von Musikinstrument, überhaupt sein eigenes unbestechlich musikalisches Genre. Mehr noch: eine eigene sexuelle Welt. Menschen, die weich oder mit Druck küssen, die Lippen beißen, bis es angenehm schmerzt, oder mit Zungen spielen. Im Bett, high oder in der Dusche. Selbst im Freien unter dem Sternenhimmel und den warmen Sommerwinden. Bis einer von uns gekommen ist oder beide. Mehrmals in der Nacht, im Schlaf oder dem seltsamen Zwischenzustand von Schlaf und Wachsein, worin die Genitalien ineinander liegen und die warme Zweisamkeit spüren, und vor allem Sex am Morgen. Die Hitze macht horny, die Dunkelheit melancholisch, und meist ergibt es sich so, dass das eine ohne das andere nicht auskommen kann. Selten ein perfekt Bild, aber dafür intuitiv und traumartig, in etwa so dezent wie unsere Erinnerung an heiße Sommernächte und wärmende Schenkel im Winter.

Ist das etwa nicht ultraromantisch?

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