Von der existenziellen Angst in unseren 20ern


Erst jetzt scheine ich etwas verstanden, nein, DURCHDRUNGEN zu haben, das mir seit dem Beginn meiner philosophischen Bildung nur als etwas Abstraktes klar war, aber wozu mir die Lebenserfahrung fehlte. Serj Tankian kam in Interviews der letzten Zeit öfters auf sich selbst zu sprechen, und zwar im Vergleich seines Selbsts zum jetzigen Zeitpunkt (in seinen 40ern) und zu den Anfangsjahren von System Of A Down, in der mittlerweile gut 20 Jahre dazwischen liegen: Dabei charakterisierte Serj diese Zeit in seinen 20ern oft mit dem englischen Wort angst, das aber den deutschen philosophischen Begriff für die existenzielle Angst meint.
 
Genau diese angst fühle ich nun ganz bewusst, und wenn ich mir die Geschichten und Gesichter meiner Mit-20er ansehe, erkenne ich diese Angst genauso in ihnen - nur spricht kaum einer darüber. Vielleicht ist sich auch noch nicht jeder so dessen bewusst, es dröhnt nur als unmögliche Schwere am Rand des Selbstbewusstseins, aber es ist da. Die Frage: Wohin wird es mich reißen? Wir sind alle gerade dabei in Zeiten von Kapitalismus/Euro-Krise, von ökologischen und politischen Veränderungen unser Leben zu designen. Ich selbst verspüre diese Last seit dem Ende meines Zivildienstes, als ich durch einen Unfall um meine sportliche Erfüllung des Karate bangen musste. Nicht viel später brach das Rollenmodell meiner Eltern zusammen, eine Realität ist gestorben, und dazu kam die Erkenntnis, dass mein Traum vom Medizinstudium weitaus schwerer zu erreichen ist, als ich mir in meinem schulischen (immerhin gelassenen) Selbst gedacht habe.

Murakamis Literatur hat mir klar gemacht, dass Erwachsenwerden vor allem mit Verlusten einhergeht. Die Verluste können sich unterschiedlich manifestieren, aber meistens hängen sie mit Menschen, die wir lieben, zusammen. Erwachsenwerden heißt nicht, sich irgendwie erwachsen zu verhalten; denn das ist weißderteufel wie relativ (ich kenne Menschen, die sich in ihren jungen Jahren erwachsener verhalten als manch Erwachsener). Aber es heißt, mit der existenziellen Angst klar zu kommen, sich mit ihr zu arrangieren und das eigene Leben zu gestalten, ohne sich von dieser Angst lähmen zu lassen.

DAS ist das wahre Gesicht des Existenzialismus.

Vielleicht mag diese starke unbewusst strömende Angst Grund dafür sein, warum mein Cadavre exquis in letzter Zeit so aus mir rausposaunt. Das Cadavre exquis ist mein Modell des Menschen, wie er eigentlich ist, es aber nicht wahrhaben will, weil er ein homogenes Bild von sich generiert. Dabei ist unser Selbst aber von so vielen Eindrücken und Einflüssen abhängig und mit der Zeit berührt worden, dass es absolut heterogen ist. Wie eben das Zufallsspiel, das den Namen Cadavre exquis (oder im Englischen: Exquisite corpse) trägt und zeigt, wie unterschiedliche Hände und Ideen ein seltsames Wesen auf Blatt zeichnen können. Das bezieht sich vor allem auf unsere dunklen Seiten, die wir nach Freud'scher Art gerne verdrängen mögen. Unser Ordnungszwang verkraftet das nicht, und daher verbannen wir es in eine Art Sarkophag.

Endlich studiere ich seit einem Semester, zwar noch nicht ganz am Zielpunkt, aber auf dem Wege dahin mit den ersten Erfolgen. Und genau wie meine Kommilitonen, die ebenso einige Zeit später nach der Schule das Studium aufgenommen haben, erkennen wir in den frisch aus der Schule kommenden Menschen eine Nervosität, die unwichtige Dinge angeht, wie z.B. das Bestehen von Prüfungen. Nicht falsch verstehen: Das ist eines der Ziele während des Studiums und muss ernst genommen werden. Aber die Umgangsweise mit diesem Stress, überhaupt diese spezifische Art von Stress, die sich dabei ergibt, ist so grundverschieden von denen, die bereits eine Zeit lang in ihren 20ern gelebt haben. Es fällt mir nur auf, und nicht nur mir.

Das einzige Rezept, das ich gegen diese existenzielle Angst derzeit sehe, ist AKTIVITÄT, d.h. Handeln; und zwar nicht um zu vergessen, sondern um dieser Angst entgegen zu treten.

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