DAVID LYNCH'S THE BIG DREAM (review)
Jawohl, David Lynch kreiert seit seiner 7-jährigen filmischen Schaffenspause nicht nur eine Bar in Paris, Animationskurzfilme oder Mini-Dokus, sondern vor allem auch Musik. Sein erstes Album CRAZY CLOWN TIME war interessant und hatte einige gute Songs ("Pinkys Dream"), aber war zu sehr gemixt in unterschiedlichen Stilen von seltsamem Chill-Techno bishin zu Experimental-Esoterikvorträgen. Doch nun ist sein zweites Album erschienen, THE BIG DREAM, und - fuck - ich bin mehr als zufrieden mit dieser musikalischen Kost.
Die Stimme von David Lynch ist natürlich mehr als weird, ein älterer Herr mit einer komisch gebrechlichen Zunge, an die man sich vielleicht im ersten Album stark gewöhnen musste. Jetzt ist sie genau richtig. Das neue Album hat in der Hinsicht zwei große Vorteile: Es ist im Sound stringent und konsequent - weit stärker als das erste Album zu sein meint.
Was ist dieser Sound, der The Big Dream so hörenswert macht? Laut Lynchs eigener Auskunft handelt es sich hier um seine Vorstellung von modernem Blues. In der Tat hält sich der musikalische Stil ganz besonders an einer Art lyncheskem Blues, der sich ab und zu 1950er Balladen, loungigen Soundtracks und beinahe psychedelischem Rock annähert und so eine einheitliche Klangdiversität schafft. Die Musik ist düster, manchmal zebrechlich, manchmal komisch, aber - und das fällt mir besonders auf - nervt niemals. Ich konnte es getrost in den CD-Spieler des Autos einlegen und meiner Mum damit sogar ein Gefallen tun, die sonst eigentlich nichts für David Lynch übrig hat. Die Stimmung ist begleitend, atmosphärisch, fast schon hypnotisch trotz der scheinbar zugenommenen Textmenge. TWIN PEAKS taucht in die schwarz-weißen Bilder von ERASERHEAD; es ist die moderne Version von BLUE VELVET in Fusion mit MULHOLLAND DRIVE.
Die typischen Motive in Lynchs Texten: Traum und Liebe. In seiner Platte befinden wir uns auditiv in einer surrealen Landschaft, wo wir in weiten minimalistische Ebenen zwischendurch auf dynamisches Design, Skulpturen, Berge und Getiere treffen. Der erste Track "The Big Dream" trägt den schleppenden Blues, während "Star Dream Girl" als Track #2 mehr Steine zum Rollen bringt. "Wishin' Well" könnte eine Zusammenarbeit mit Akira Yamaoka sein, da der Song wie für SILENT HILL geschaffen zu sein scheint. "Say It" ist die typische abgefuckt erotische Szene in einem jeden Lynch-Film, bluesrockig, etwas zwischen rotem Neon-Licht, düsteren Night Clubs und scharfen Ladies, die barbusig und in Trance verloren auf der Stelle tanzen. Auch Humor hat Lynch nicht vergessen einzubauen, wie man mit seiner besoffenen Tom Waits-Stimme in "Sun Can't Be Seen No More" sehr gut mitnimmt. Absolutes Glanzstück ist das Cover von "The Ballad of Hollis Brown", dessen spannende Handlung so gut zu David Lynchs modern blues passt, als hätten wir ein Bob Dylan-Drehbuch, den Lynch musikalisch verfilmt hat. Nur als einmaliger Bonus-Download zwar nicht auf der physischen CD verfügbar, so lohnt sich auch die erste Single des Albums zu ergattern: die für ihren Hit-Song "I Follow Rivers" bekannte Lykke Li hat ihre zärtliche Weiblichkeit auf einen Track von Lynch gehaucht, der somit wie der Revival-Kuss von TWIN PEAKS zu schmecken scheint.
Während ich natürlich wie jeder Lynch-Fan dennoch sehnlichst auf einen neuen abendfüllenden Film warte, genieße ich seine Musik in den Abendstimmungen, beim Lesen, beim Arbeiten, beim nächtlichen An-die-Decke-Starren und Lauschen.
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