AngkorsuRRealist


Vor 1.000 Jahren war Europa ein wilder Ort, es war das Zeitalter der christlich geprägten Mitte unserer Geschichte und die Zivilisation hat begonnen, sich im Schatten der Antike mühsam wieder aufzustellen. Zeitgleich auf der anderen Seite der Welt, im fernen Asien, kam ein Reich zur Blüte, welches ihre kulturellen und später auch kriegerischen Agenten von Kampuchea aus ins Königreich der Thai und weiten Teile Indochinas losschickte. In einem Gebiet, das durch weite flache Graslandschaften geprägt ist, in dem dünne aber hochgewachsene Palmen mit einer kugelig wirkenden Krone stehen, mit Dschungel und tropischer Hitze, enstand die größte Stadt der Welt, die das damalige Gesicht dieser Erde geprägt hat. Meine Sehnsucht hat mich an diesen Ort geführt, wo nach Mythen und Legenden die Schreckensherrschaft der Khmer Rouge und der Genozid am eigenen Volk durch Pol Pot für tausend Jahre in die Zukunft hin prophezeit wurde.


Willkommen in ANGKOR, Kambodscha.


Seit meiner Kindheit zogen mich Ruinen an, eine romantische Seele, wie man unschwer erkennen kann, und doch, wer hat diese Faszination für die letzten architektonischen Denkmäler der Zivilisationen nicht schon mal verspürt? Bereits früh in meinem Leben bekam ich die antiken griechischen und römischen Amphitheater und Tempel zu sehen, durfte alsbald auf den Pyramiden von Gizeh auf die Welt hinabschauen, wanderte vier Tage lang dem Regen zum Trotz durch die peruanischen Berge bis nach Machu Picchu. Es warten noch weitere heilige Stätte auf mich, aber meine Sehnsucht trieb mich schon lange nach Angkor Wat. Und dort war ich nun: Von der Stadt Siem Reap aus, in einem Land, das durch eines der schlimmsten Greueltaten des 20. Jahrhunderts traumatisiert wurde, lief die Expedition nach Angkor Wat und all die anderen verbliebenen Tempel, die teilweise versunken liegen und die einstige Ausbreitung des Reiches nur noch schwer erkennen lassen. Dort, wo vereinzelte Hütten von Khmer stehen, die Essen für Touristen anbieten, wo sich Dschungel ausgebreitet hat, war einst alles Stadt - doch nur die Mauern und Dächer der Tempel sind übrig geblieben.

Die Einreise

Der Weg nach Kambodscha war eine Herausforderung. Videos, die nur wenigen Jahre alt sind, zeigen eine kaum vorhandene Straße, die wir auf dem Weg nach Siem Reap befahren sollten, wo Busse im feuchten roten Schlamm der Regenzeit stecken bleiben oder umstürzen. Wo uns Armut en masse und ein Korruptionsversuch nach dem anderen ständig mit dem Mittelfinger ins Gesicht boxen, boxen, boxen würden. Und motorisierte Gangs, ohne das menschliche Leben wertzuschätzen, Taschen von den Armen reißen. Nicht zuletzt gibt es noch eine fast schon mystische Bedrohung wie die Weißen Wanderer bei Game of Thrones: von den Roten Khmer, Reste kommunistischer Guerilla-Räuber, die Touristen mordend und verschleppend aus dem Dschungel kommen. Und jede Flucht über Land ist nirgendswo gefährlicher auf der Welt als in Kambodscha, das immer noch übersät ist von Mienen, die einen mit Glück noch das Gesicht oder vereinzelt Arme zurücklassen. Warum sollten wir trotzdem den Weg auf nach Angkor wagen?
Dem Internet sei Dank: Die Zeiten haben sich natürlich geändert. Mittlerweile lässt sich direkt von Bangkok aus ein Bus für 900THB/Person nach Siem Reap nehmen. Es sind hauptsächlich Westler und asiatische Touristen unterwegs: junge Briten, mit denen wir uns bestens verstanden haben, Deutsche, ein junger Mexikaner, dann wiederum Japaner aus der Großvater- und Ersties-Generation (die Generation unserer Eltern ist sehr rar gesät bei denen), Inder, Taiwanesen, auch Thais. Alles gebildete und sympathische Leute.
Kurz vor der Grenze wuchs die Anspannung. Es gab Sorgen, das Visa-on-Arrival nicht zu erhalten, sich da überhaupt zurecht zu finden, ohne beklaut zu werden. Im Bus bereits wurde uns ein Angebot gemacht, das Visa zu organisieren, doch wir hätten mehr gezahlt für etwas, was wir auch selber in die Hand nehmen konnten. So saßen wir nun auf unseren Sitzen: Wie Fallschirmjäger kurz vor dem Absprung in feindliches Gebiet, sich den genauen Plan noch einmal vor Augen haltend, nicht anders kenne ich es von Vorbereitungen vor Karate-Wettkämpfen. Dann stiegen wir aus, wurden zur thailändischen Grenze gebracht, wo wir uns aus dem Land abmeldeten, gingen den weiterführenden Pfad entlang bishin zu einer Art "Gesundheitlichen Kontrolle", in der Khmer in Uniform und mit Mundschutz uns erwarteten. Es hatte seinen dystopischen Reiz - als wären wir Flüchtlinge aus einem Zombie-infizierten Gebiet. Dort mussten wir eine Reise-Anamnese selbst ausfüllen und uns wurde irgendwie irgendwo am Kopf die Temperatur gemessen, nur ums uns dann mit dem ersten (harmlosen) Versuch von Betrug konfrontiert zu sehen. Wir wurden gefragt, ob wir eine Familie seien, wir bestätigten dies, und die zierliche (wohlgemerkt) uniformierte Khmer-Frau, die uns "untersuchte", gab uns einen Zettel mit irgendwelchen Gesundheits-Hinweisen. Sie meinte: "Wenn ihr krank werdet, ruft diese Nummer an oder zeigt dies einem Arzt. Und bitte ein Dollar." Sie wollte einen Dollar für irgendeinen Zettel oder Hinweis, den wir nicht verstanden haben. Wie ernst es ihr war damit, bestätigte sich, als wir weder Dollar noch Thai-Baht vorlegen konnten (kluger Weise haben wir alles Geld auf das nötigste reduziert und auch nur einen kleinen Rucksack mitgebracht für uns zwei, den ich getragen habe), und meinten, wir müssten es erst abheben gehen. "Ok", meinte sie, und winkte uns ab, wir durften auch so weiter.

Einem Foto aus dem Internet folgend, das ich als Screenshot auf meinem Smartphone gespeichert hatte, wusste ich zum richtigen Gebäude zu lenken. Die Gebühren belaufen sich auf 20 Dollar für ein Visa-On-Arrival, aber ganz schäbig und völlig inoffiziell auf einem Papier per Handschrift gekritzelt wurden sogenannte "Bearbeitungsgebühren" erhoben: 100 THB oder zwei Dollar, und wer sich den Wechselkurs ausrechnet, wird wissen, dass man mit Dollar billiger davon kommt. Wohlgemerkt, ein Dollar in Kambodscha ist verdammt viel wert, für uns ist das nicht mal ein Euro, aber das zeigt auch die verzerrte Relation. Die kambodschanischen Beamten in polizeilich wirkenden Uniformen lächeln nicht, und bearbeiten eines jeder unseren Anträge. Wer kein Passfoto mitgebracht hat, muss nicht fürchten, niemals nach Siem Reap zu gelangen: Für drei Dollar mehr wurde einfach mein Passport-Foto gescannt, was an sich sehr happig ist für kaum mehr Extra-Arbeit. Beim Ausfüllen und Überprüfen unserer Papiere wurde unsere Anspannung im Gesicht bemerkt und der Beamte lächelte mich an, als ob er meinen würde: "Junge, entspann dich." Als dann unser Passport unbeschadet und mit dem hübschen kambodschanischen Visa ausgestattet zurück in unsere Hände fiel, ging es gleich weiter entlang von Casinos, die in einer Art Neutralzone aufgestellt sind, zum Vorzeigen des Visas und der endgültigen Einreise in das Land der Khmer.

Siem Reap

Busstrecke nach Siem Reap
Die Busfahrt weiter bis nach Siem Reap ist zugegeben langweilig. Die Landschaft ändert sich kaum und zeigt keine Variation. In den Städten, an denen wir vorbeifahren, sieht man bereits den Schmutz und die wirre Organisation eines Dritte-Welt-Landes, doch auch den kolonial geprägten französischen Stil. Mehrfach fühlte ich mich an das dörfliche/ländliche Gebiet Polens um Gdansk herum erinnert, hey, ich bin zu Hause! Siem Reap, eines der größten Städte Kambodschas im Gebiet Angkor, ist weit entfernt von Großstadt-Feeling, aber eine nette Hauptstraße sogar mit schöneren Läden und Banken haben sie. Doch durch all die jungen Menschen, die wie bikende Draufgänger oder sexy gestylte Party-Girls auf ihren Motorrollas fahren, sowie die alten Menschen, die noch in früher Nacht draußen kochen und essen, hat alles einen seltsamen Post-Vietnamkriegs-Flair, der irgendwie eine abgrundtiefe Coolheit dieses Landes hervorholt. In Kambodscha lässt sich die Zeit vergessen, es lädt dazu ein, hier einen Restart nach existenziellen Krisen in die Wege zu leiten. Es dauerte nur einen Abend und ich war begeistert: I love Cambodia.

Angkor

Um 5 Uhr am nächsten Morgen fuhren wir in einem Tuktuk los, ein junger Khmer mit guten Englisch-Kenntnissen war unser Fahrer, Frühstück vom Hotel, das wir noch im Tuktuk genüsslich verspeisten, und vor uns eine eisgefüllte Truhe, in der unsere zig Wasserflaschen für den Tag gelagert waren - die wir auch ALLE austrinken würden. Auf dem Weg sahen wir noch Westler auf Fahrrädern strampeln, was irgendwie cool war, aber angesichts der Weite des Gebiets und vor allem der aufkommenden Hitze absolut nicht mehr so chillig sein kann, wie es anfangs den Anschein nimmt: "Boy, that esqualated quickly.", hörte ich sie später in meinem Kopf sagen.

Angkor Wat #nofilter

Pünktlich zum Sonnenaufgang kommen wir in Angkor Wat an. Ein leichter Nebeldunst hängt über dem Tempel, mystisch und beeindruckend, mein Herz macht tausend Sprünge. Ich kann es kaum fassen: Hier stehen wir vor den Ruinen einer Weltstadt von vor eintausend Jahren, das legendäre Angkor, die Türme des Vischnu-Tempels Angkor Wat, die Naga an jedem Stegbeginn. Ich konnte nachvollziehen, wie sich die französischen Abenteurer gefühlt haben mussten, als sie zum ersten Mal vor den Ruinen standen. Es ist diese Epicness, die es jeden Stress lohnt, nach Kambdoscha zu reisen. Das Selbstbewusstsein steigt ins Unermessliche, während wir uns nicht satt sehen können von der Präsenz solch antiker Architektur. All die epischen Schlachtszenen auf den Wänden erzählen die Geschichte des Khmer-Reiches, das mit einer Nuklearwaffe ausgestattet Kriege gewonnen hat: dem Pradal Serey, heute auch bekannt als Khmer Boxing. Wo die Thai durch neugewonnene wirtschaftliche Größe mit Thaiboxing ein Kulturgut exportiert hat, ist kaum bekannt, dass der Ursprung dieser Kampfkunst selbst nur ein Import aus Kambodscha ist und damit eine weitaus billigere Variante darstellt des für ihre originäre Version härteren und gefährlicheren Anspruchs.
Wir erkundeten somit Angkor Wat und nahmen uns alle Zeit der Welt, immerhin waren gut neun Stunden für diesen Tag geplant und unser treuer Fahrer wartete jedes Mal auf uns. Des Weiteren besuchten wir andere Tempel wie Bayon sowie die filmische Ta Prohm-Ruine, dessen dunkelgrüner, sumpfiger Flair herrührt von versunkenen, teils eingestürzten und von viel tropischer Vegetation umschlossenen Abschnitten. Im Bayon-Tempel zündeten wir von einer buddhistischen Priesterin dargebotene Räucherstäbchen im schattigen Herzen an, spendeten eine Kleinigkeit und bekamen zum Dank ein rotes Bändlein um unser Handgelenk geknotet, das ich mit Stolz bis heute nicht abgenommen habe und zur Erinnerung an mir trage.

Zwischendurch wuchs der Hunger, bis wir es kaum aushalten konnten. Unser Fahrer schlug uns ein Restaurant vor, zu welchem wir gefahren sind. Doch anstatt einer touristischen Meile mit Restaurants, wie man es von touristischen Orten kennt, fuhr er ein bestimmtes Restaurant an, wo wir uns zuerst höflich hinsaßen, über die europäischen Preise, welche völlig unverhältnismäßig waren, schluckten und dann still und heimlich, ohne auch nur zurückzuschauen, das Restaurant verließen. Hundert Meter weiter gab es Street Food, welches zwar nicht vergleichbar mit Thai Street Food und auch ein wenig überteuert war, aber allemal besser als irgendein fancy Restaurant. Unser Fahrer wollte uns dann irgendwann wieder abholen, doch wir waren nicht da -  sein wohlmöglicher Coup mit dem Restaurant-Besitzer ist wohl nicht ganz aufgegangen, zumindest wirkte er angespannt und fast schon verärgert, als wir ihn aufgefunden haben. Wir jedoch waren Stolz auf uns, und dafür, dass er an sich ein sehr guter Fahrer war, gab es eh noch zurück im Hotel einen Dollar Trinkgeld auf die Hand.

Ganz charmant waren auch die kleinen Kids, wohl nicht älter als 5/6 Jahre, die in Angkor ihren touristischen Schrott verkaufen wollen und mit jeglicher Schauspielleistung, die sie besitzen, von lachenden und spielenden Kindern auf traurig-süß und arm umschalten konnten, und vor allem Frauen belagerten, dass die ihnen doch was abkaufen mögen. Das sah dann Folgendermaßen aus:

Bayon, Abbild von Vischnu
"Pleeeease, Lady, just one Dollar." Während sie versucht mit unseren  verhältnismäßig riesigen Schritten mitzuhalten, zählt sie jede Karte einzeln auf Englisch ab und schlägt alle zusammen dann auf die Handkarte, um zu verkünden: "Ten postcards for one Dollar!" So süß, lieber hätten man die Kleine mitgenommen und adoptiert. Das Gleiche musste sich Angelina Jolie damals auch gedacht haben, als sie vor Ta Prohm Lara Croft spielte. Und doch, schaut das kleine Khmer-Kind besorgt zurück, dass sie bloß nicht den Anschluss zu den anderen Kindern verliert, und lässt irgendwann nach. Ein Junge zeigte sogar beeindruckenden Humor, als er sich und die anderen mit einem fetten Grinsen parodierte: "One for one Dollar! One for twenty Dollar! One for three throusand five hundred million Dollar!"

Meine Sehnsucht gilt jetzt für Angkor und Kambdoscha, welches wir das nächste Mal über Vietnam erreichen wollen. Diese Ruinen sind absolut und zurecht ein Weltwunder, nur hoffe ich für das Land selbst, dass es die Größe dieser alten Zivilisation, die sogar auf der Nationalflagge abgebildet ist, wieder erreichen wird. Denn Potenzial hat es. Wie ich mich erinnern kann, gab es laut VICE sogar eine Psych-Pop-Kultur vor Ort, bevor die Khmer Rouge das Land zurück in die Steinzeit mordeten. Diese sollte wieder erweckt werden, und damit Kambodscha zu einem modernen Staat mit alternativem Charakter und einer treuen Verbindung zu ihrer antiken Vergangenheit werden.

Ich bin der AngkorsuRRealist.

Ta Prohm

Das berühmte Foto...



...und die andere Seite davon.


Planet der Affen (laut der dazugehörenden Epik waren die Affen die Guten), Hinweis auf Pradal Serey







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