Haste Feuer, Prometheus?

Welches sind die besten Folgen in der Serie CALIFORNICATION? Die Party-Folgen! 

Daher: ein gemeinsamer Abend unter einer heterogenen Party-Gesellschaft in Lübeck. Am Ende dieser Nacht kam uns eine Idee! Eine Kooperation zwischen zwei Menschen, welche die Leidenschaft zur Literatur und zum geschriebenen Wort verbindet, um dann eine gemeinsame Veröffentlichung daraus zu machen. Was es werden sollte, war uns nicht klar, und erst wenn der jeweilige Text fertig war, sollten wir sehen, was der andere geschrieben hat. 

Das Ergebnis ist phänomenal: zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, zwei unterschiedliche Stimmungen, aber doch ein Thema. Dies hier ist meine Version. Wer das gelesen hat, ist nur bis zur Hälfte gekommen - die andere findet sich HIER

Die Autoren




Haste Feuer, Prometheus? Part I


"Die Lyrik hat da ihre Bedeutung verloren, 
als der Rock'n'Roll erfunden wurde."

Plötzlich, ohne groß nachzudenken, improvisiere ich wie ein Jazzmusiker diese Zeile. Dabei die Sonnenbrille auf, in einer warmen Sommernacht. Um eine coole Haltung zu bewahren, wie sie von Jazzmusikern gepflegt wird. Und in den Gläsern die Reflektion dessen, was die Flammen zaubern. Jede gute Gartenparty kommt ohne ein echtes Lagerfeuer nicht aus, es sind die Flammen, welche die Menschen an sich ziehen wie hypnotisierte Motten. Es ist, was die Menschen schon seit 10.000 Jahren machen - sich vom Feuer anlocken lassen, das da so gefährlich brutzelt, aber eine Anziehungskraft hat unvorstellbaren Maßes. Rührend zu sehen, wie sich immer wieder jemand findet, der das Lodern am Leben erhält. Was ist es, weshalb wir uns gerne am Feuer versammeln, obwohl uns doch mittlerweile Neonreklamen und Smartphone-Bildschirme unsere Nächte zu Tage werden lassen? Ein sehr schönes Mädchen auf der Bank neben mir weiß auf meine philosophische Frage instinktiv die richtige Antwort: Sicherheit. Vertrautheit, füge ich hinzu. Im Mutterbauch erlebten wir diesen Zustand als erstes, als sich unsere Nerven bereits früh genug einer Welt erschlossen, die eins war mit der Mutter und dem Kind. Die Geburt reißt uns aus dieser Einheit, macht uns einen Begriff von Schmerz, Trennung, Subjekt und Objekt.

"Das ist schrecklich", sagt sie dann.

Düstere Grübeleien scheinen in letzter Zeit mein Metier zu sein. Aber diese Art von tiefgreifenden Gesprächen entzünden sich hier nun mal so wie es der Wunsch nach Zweisamkeit tut. Ich klinke mich bei einer Diskussion ein, worum es genau darum geht: die Liebe. Der frisch verheiratete Gentleman und der junge Hedonist & Dichter. Und als wäre es nicht genug des Kontrastierens, war der Erwachsene polnischer Herkunft passenderweise im weißen Hemd, während der junge Dichter dunkler und mehr Rock’n’Roll zeigte, doch mit der Aufschrift “Ein Herz für Nerds” auf seinem Shirt gleichfalls einem Scott Pilgrim gegen die Welt glich. Der Gentleman war sich seiner Sache gewiss, dass die Ehe eine Entscheidung ist, welche die reine Liebe ihre symbolische Ernstnahme ermöglicht, während der junge Poet weder an der institutionellen Glaubwürdigkeit interessiert ist noch überhaupt an ein monogames Leben. Ich stehe zwischen ihnen und spreche davon, dass schon die alten Griechen eine ähnliche universelle Vorstellung von Liebe besaßen wie wir heute, kumuliert in der Niederschrift über die Kugelmenschen. Eine Legende, die von Platon verfasst wurde. Worin die Menschen als Paarwesen erschaffen wurden, dem Kugelmensch, und in dieser ultimativen Form schnell über ihre Schöpfer hinauswuchsen, sodass sie den Olymp stürmten und Zeus vom Throne stoßen wollten. Die Strafe für diese versuchte Revolution war desaströs: Zeus löste ihre Macht auf, indem er die jeweils zwei kongruenten Seelen des Kugelmenschen auseinander riss. Diese siechten traumatisiert dahin wie die Fliegen, alles im Versuch, sich irgendwie erneut binden zu können, sodass sie völlig das Überleben ignorierten. Doch es waren auch Zeus’ Kinder, daher war ihr Leben trotz allem etwas von Wert, und so ermöglichte Zeus es ihnen, die jeweils kongruenten Seelen, wenn sie sich denn wiederfanden, für einen kurzen Moment in Sex und in der Liebe zu einem Kugelmenschen zu vereinen. Diese Geschichte schwirrt mir seit Schultagen immer wieder durch den Kopf. Die Liebe ist der größte Akt der Revolte, sagte mal ein surrealistischer Dichter.

Genauso ist sie das Ziel im Schein der Flammen. Ich kann mich in Ruhe zurücklehnen, high und angetrunken, und jedem dieser Menschen ungehinderten Blickes folgen, die sich an der Wärme naben, wie die rohe Wildnis der Savanne an einem Wasserloch. Der junge Dichter von vorhin kommt aufgeregt zu uns, will alle zum Tanzen motivieren, doch wird sich plötzlich der Schönheit des Mädchens neben mir bewusst, und im roten Schimmerlicht kann ich seinen Fokus sehen, wie er erstarrt und die Biochemie in seinem Hirn ihm ein Ziel vorgibt, das ihm vielleicht erst Bruchteile einer Sekunde später bewusst wird: Er will sie.

Sie zu seinem Unglück will ihn nicht. Irgendwann gesellt sich ein seltsam kontrollierter Kerl dazu, der nicht viel unternimmt, aber auffälig in Reichweite des schönen Mädchens bleibt. Doch er schaut letzten Endes ebenfalls nur zu, als der junge Dichter mit seinem ganzen Teenager-Charme das volle Repertoire seiner vergeblichen Verführungskünste an einer ausübt, die bereits augenscheinlich nicht kompatibel mit ihm ist, ja einer ganz anderen Erdrotation angehört. Alle werden wir Zeuge, wie dieser Junge versucht, dem Fluch des Zeus entgegenzuarbeiten - und dabei kläglich scheitert. Wie er versucht, sie vom Feuer wegzulocken, zu den Sternen in der Nacht. Wie er aus dem Stehgreif irgendwelche belanglosen, aber lieb gemeinten Verse herausjizzt, und selber zugibt, von Improvisation keine Ahnung zu haben. Doch hat er Mut, er tut es vor den Augen aller, es setzt alles auf’s Spiel: entweder die totale Demütigung oder den Sieg über das Feuer. Er will sie nur ficken. Das ist eine Geschichte.

Am Ende geht die Schöne, und höflich wie sie ist, gibt sie ihm und dem trockenen Konkurrenten sogar die Hand. Während ich, ohne sie wirklich zu kennen, und mein guter Freund, der das Schauspiel auch mitbekommen hat, eine freundliche Umarmung zum Abschied erhalten.

Auch die bereits etablierte Liebe ist nicht frei von Irritation und Wut. Ich bekomme mit, wie wiederum der Gentleman mit seiner Frau in ein seltsames Streitgespräch verfallen ist, in welchem er extrem laut wird und ihr von “diesen Fotzen und Nutten aus Hamburg” ins Gesicht pöbelt. Alles kann aus dem Kontext gerissen werden, aber als sie dann sofort abzieht und er mehr geknickt und beschämt allein in der Dunkelheit zurückbleibt, brennt sich dieses Bild mir in den Kopf. Er kammt wieder ans Feuer, leckt im Stillen die Wunde, doch als ich frage, ob alles ok sei und wo seine Frau hingegangen ist, weicht er aus: “Ihr ist kalt, und sie ist ihre Jacke holen gegangen.” Später dann ist das Ehepaar wieder ein Liebespaar, was mich beruhigt.

Ein anderes Schicksal verfolge ich von Anfang an bei einer jungen Frau, die mir durch ihren nach Außen hin getragenen Rouge Style - Tattoos, Ringe - und im Kontrast dazu einer völlig verkrampften Schüchternheit sofort ins Auge fällt. Fragt man sie nach ihrem Namen, sieht man sie ihn nennen - hörtesie aber nicht. Dabei raucht sie eine Zigarette nach der anderen und trinkt Sekt. Ich selbst bin ein Neuling hier und kenne nur meinen Baby-Bro, der mich auf diese Party mitgezogen hat, daher bin ich selber nicht abgeneigt des Gleitgels von Whiskey & Weed, um das Kennenlernen neuer Leute wie eben dieser Frau zu beschleunigen. Aber sie trinkt, wie um sich vor den Augen dieser ihr ebenfalls fremden Gesellschaft als Wassertropfen im Meer aufzulösen. Wir kommen anfangs kurz ins Gespräch, dabei stellt sich heraus, dass mein Studium und ihre Arbeit eine Gemeinsamkeit von uns bilden. Irgendwie bin ich angetan von ihrer zärtlichen Gegensätzlichkeit. Doch sie ist außer Kontrolle. Sie betrinkt sich innerhalb eines Taktwechsels, sodass ihre Freundin und Fahrerin sie später stemmen muss. Auch bei ihr, wie schon zuvor beim jungen Dichter, gibt es nur das Extrem: die Schüchternheit oder der absolute Rausch. Dazwischen ist sie nicht auffindbar. Der seltsam kontrollierte Typ, der sich später dann an die Schöne wagen sollte, klebt zuerst auch an ihr, so lernte ich den überhaupt erst kennen, wie er mir sofort davon berichtet, dass er nie Drogen genommen hat. Er ist wohlmöglich in der Hoffnung bei der besagten jungen Frau, etwas von ihrer gegärten Frucht noch probieren zu dürfen. Sie jedoch ist ußerhalb unseres Sonnensystems und im Schein der Flammen, angelehnt an ihre Freundin, entrückt sie endgültig in den Dämmerzustand.

Der Morgen graut, das Feuer verliert gegen die Sonne, wir fahren nach Hause.


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