Manifest der Sprache
Sprache ist etwas, dass sich im
Alltag konditioniert. Und was bestimmt den Alltag? Der Kontakt mit anderen
Menschen und Werbung. Genauso wird unsere heutige Sprache vor allem von
Floskeln aus den Medien erweitert. Natürlich nicht nur, aber die Marketingbranche
hat wohl den größten Anteil an diesem Fundament der Kultur schlechthin. Das
habe ich so nebenbei beim Sehen der Serie «Mad Men» erneut verstanden, wo es um eine Werbeagentur in den frühen 1960ern
in den USA geht.
»Das Wetter ist phänomenal.«
Beim Schreiben dieses kleinen
unscheinbaren Satzes ganz oben in mein Tagebuch ist es mir an mir selbst
aufgefallen: Wie sehr ist meine Sprache, unsere Sprache vorgegeben! Damit
möchte ich nicht an den Begriffen selbst rütteln, sonst wäre ja jeglicher Sinn
von Sprache hinfällig, aber ich will an den Phrasen rütteln. Wie viele gängige
Sprachfloskeln haben wir nicht schon aus der Werbung übernommen? »Phänomenal«
habe ich wenig später durchgestrichen und ersetzt – ich habe den Verdacht, dass
dieses Adjektiv aus der Werbesphäre kommt, denn es klingt gut und scheint
positiv konnotiert zu sein, hat aber nichts mehr direkt mit dem ursprünglichen Phänomen oder der Phänomenologie zu tun.
Vor allem nicht im Bezug aufs Wetter. Es spielt auch keine Rolle, woher es
genau kommt, es geht mir auch nicht darum, Werbung schlecht zu machen. Ich habe phänomenal durchgestrichen, weil es
nicht von mir kommt! Ich nutze Phrasen, die mir nicht gehören. Natürlich ist
alles, was ich spreche und schreibe schon irgendwann mal vor mir ausgesprochen
worden. Aber ich habe mich nicht immer um Kreativität bemüht, das gesagt, was
ich aus mir heraus vielleicht anders ausdrücke entgegen dem, was in der
Rechtschreib-Diktatur geduldet wird. Ich glaube, dass die Sprache anders zu
nutzen und somit auch das Bewusstsein zu verändern ein Kernpunkt des
Surréalismus ist, weil es auch ganz klar als [anti-]literarische Bewegung
seinen Ursprung genommen hat. Diesen Gedanken muss ich als Surréalist gerecht
werden.
Bisher habe ich es immer nur auf
begrifflicher Ebene versucht: Indem ich z.B. die Begriffe des Musik-Genres wie
Rock, Punk, Hip-Hop, Pop, Jazz, Metal, Electro, und immer weiter verzweigt in
Progressiv Deathmetal, Electro Jazz-Pop, Avantgarde Rapcore, etc. etc. VERNEINT
habe. Im letzten Jahr kam mir der Gedanke: Immer mehr
Bands bzw. Musik entstehen, die zwar prinzipiell das gleiche wie eh und je sind,
aber gerade durch ihre Originalität hervorstechen und prägend werden. Es geht
soweit, dass Bands wie System Of A Down
oder Wolfmother völlig konträre
Genre-Bezeichnungen von sich selbst haben gegenüber dem, was ihnen die Medien
aufpressen wollen; oder sogar eigene absurde Genres erfinden.
Ich kam zum Schluss: GENRES SIND
TOT.
Und das ist gut so. Indem ich für
mich also den Begriff des Musikgenre für nichtig erklärt habe und die einzelnen
Mitglieder dieser Wortgruppe von Nomen auf Adjektive und Adverbien heruntergestuft
habe [etwas klingt rockig oder ist rockig, ohne das gängige Rock zu
sein – vor allem nicht, nur weil das Gitarren-Dogma besteht bei ansonsten
unangressivem, langweiligen Klang], habe ich für mich selbst die Sprache
verändert.
Oder auch indem ich Grundbegriffe
wie GOTT, NATÜRLICH [im Sinne von: Gegenteil zu KÜNSTLICH] oder auch
PATRIOTISMUS nicht mehr benutze und auch verneine, weil sie abgetragen und
dadurch hohl geworden sind. Im Falle GOTT heißt das nicht, dass ich damit die
Idee Gottes verneine, es hat hier rein gar nichts mit der religiösen Dimension zu
tun, sondern allein mit der sprachlichen.
Oder indem ich mich selbst von
allzu intellektueller und philosophisch-wissenschaftlicher Sprache trenne, um
weniger mit Worten zu blenden und Unterschiede zu machen, wo es keine für den
Sinn des Satzes/ Kontexts zu geben braucht. Auch das heißt nicht, dass ich nur billige
Sprache verwenden will, denn manchmal drückt ein bestimmtes Fremdwort viel
besser das aus, was ich mitteilen will, als seine vereinfachte deutsche
Entsprechung.
Oder gerade die Poetisierung:
Scheußlich, ich schäme mich selbst für all die Klischees, die ich bereits in
den all den Jahren erbracht habe und sie auch noch für originell hielt. Genauso
ekel ich mich auch ein wenig davor, wenn Freunde und Bekannte etwas so
Verkünsteltes schreiben, dass mir der Kotzschlund sprudelt. Ein Beispiel aus
Facebook: »Ein zaghaftes Lächeln aus dem hohen Norden« oder so ähnlich als
Grüße. Klingt für einen gefühlvollen Roman entsprechend stylisch, aber ist die
kosmetische OP der Alltagssprache, die Brustvergrößerung und Botox-Spritzung,
was demnach nur lächerlich übertrieben und fast schon gruselig wirkt.
Was lerne ich daraus Punkt für
Punkt?
Keine Phrasendrescherei!
Keine Angst vor Fehlern!
Keine sinnentleerten Begriffe!
Keine Wortblenderei!
Keine Poetisierung!
Und dafür:
MEHR KREATIVITÄT!
Phrasen zu vermeiden und Sätze
ungezwungen kreativ zu nutzen ist bei Weitem nicht leicht. Am besten finde ich
es da, wie intelligente Leute sich in Fremdsprachen erproben. Gerade in China
habe ich den Unterschied zwischen kreativen Sprechern und Phrasendreschern
erlebt. Vorteile von Kreativen: Sie erzeugen interessante, ungewohnte Sätze,
die oftmals sehr lustig und erfrischend klingen für Muttersprachler. Ihr
Nachteil ist aber, dass sie meistens damit scheitern, eigene Redewendungen
völlig unverständlich zu übersetzen. Vorteil von Phrasendreschern: Sie stehen
immer auf der sicheren Seite in der oberflächlichen Verständigung; kommen aber
nicht darüber hinaus. Sie bleiben früh genug stehen, weil sie nicht den Mut zum
Matrix-Sprung aufweisen.
Kreative und Phrasendrescher
stehen zu sich im Vergleich wie Bohème und Bourgeoisie, n’est pas?
Neue Technologie und Wissenschaft
gehört auch zum Pool an neuer Sprache, die wir nutzen. Selten höre ich noch
Worte wie MP3-Player oder noch
veralteter Jukebox. iPods sind am
Start, genauso wie viele andere Apple-Produkte die Ästhetik unserer Zeit
erkannt haben und prägen. Ich gebe einen Rat für den Alltag und die Sprache: Sich
immer auch für die Zukunft interessieren, gerade im Hinblick auf Technologie! [Um
die Ökos zu trösten: Technologie muss nicht immer negativ konnotiert sein für MaschinenIndustrieMüll, sondern kann
gerade für eine ökologische Weiterentwicklung stehen.]
Dabei sollte gerade die Angst vor
Anglizismen verworfen werden. Die deutsche Sprache ist eine kantige und harte,
klanglich finde ich sie nicht schön. Zumindest passt sie eher für harte Revoltenliteratur
als für Goethes Werther-Leiern, doch darin hat es die deutsche Mentalität nicht
drauf, dafür die Franzosen umso mehr. Der eigene deutsche Akzent in
Fremdsprachen tut mir selbst schon weh. Und die älteren Nutzer der deutschen
Sprache tun sich in der Regel schwer mit neuen Worten, vor allem mit
Anglizismen. Da wird wie im Beispiel Bayern offiziell aus einem
Master-Studiengang einfach mal ein Meister-Studiengang gemacht. Diese Leute
vergessen, dass unsere Sprache in ihrer ganzen Geschichte auch immer in
Wechselwirkung mit anderen Sprachen gestanden hat, die unterschiedlichen
Kulturen haben sich Worte geteilt oder sie übernommen oder sie geprägt. In der
heutigen Kulturdimension, in der wir leben, sind nun mal Anglizismen am
prägendsten. Und in Zukunft würde es mich nicht wundern, wenn Sinozismen [gibt
es das Wort überhaupt schon?], damit meine ich chinesische Wörter in der
deutschen Sprache, zum Alltag dazu gehören.
Schon der Surréalist sagte: »Sprache ist dazu da, um einen surréalistischen Gebrauch von ihr zu machen!« |
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