MetropolitanI: SHANGHAI
Großstädte sind kulturelle Schmelzzztiegel der Welt und
der Ausgangsort für die Zukunft von Morgen. Aber, und das ist vielleicht sogar
noch wichtiger, sie haben ihre dunkle, verführerische Seite, die
geheimnisvolle, die dionysische, in der Gefahr lauert. Sie zu akzeptieren heißt
im Besonderen, die eigene dunkle Seite zu akzeptieren. Ob man auf kurze oder
lange Zeit in Großstädten leben kann, sei dahin gefragt. Dass sich solch ein
Besuch lohnt, dass man in Konfrontation oder Symbiose mit ihr erwächst, das ist
eine Lebensweisheit. Und daher, weil diese Gedanken schon seit längerem wie
hyperaktive Kinder an meinem Kopf und meinen Haaren nagen, stelle ich eine Liste von Städten
her, die ich besucht habe, besuchen werde, besucht haben werde, nie besuchen
kann [weil es sie nicht gibt] und mir wünschen würde, dass sie besuchbar wären.
Start der Reihe: METROPOLITAN.
SHANGHAI // 上海
Affirmation: Shanghai
ist eine kulturell vielfältige Stadt, ein Alexandria der Neuzeit, in der
amerikanische, britische, französische, japanische und letzten Endes junge chinesische
Geschichte hinterlegt worden ist. Die Viertel der Stadt bieten alles, von einer
rekonstruierten Altstadt, über amerikanisch-britischen Architekturstil, sowie einem
eindeutigen französischen Viertel, wo man sich eher wie in einer von
asiatischen Studenten auslandssemesterüberrannten europäischen Stadt fühlt.
Shanghai-Skyline: The Bund |
Die Skyline Shanghais ist unübertrieben meiner Meinung
nach die schönste der Welt, die ich mit eigenen Augen gesehen habe oder auf
Fotos wiedererkennen kann: Nirgends sonst auf der Welt scheint es eine so
wundervoll illuminierte Sicht zu geben, wie sie eine Teilung durch den
Huangpu-Fluss im Herzen Shanghais ergibt – auf der einen Seite belebt der Bund mit
Lichtstrahlen, ehemals amerikanisch-britischer Sektor, den Flair der 1920er und
30er Jahre Shanghais wieder, auf der anderen Seite Pudong erheben sich die
Finanztürme und futuristischen Symbolträger der Stadt.
Ansonsten ist es das schmeichelnde Etwas der Straßen, die
Wirrnis und Seltsamkeit der Einwohner, ihrer Gewohnheiten und ihres Alltags,
welches irritiert und dann geliebt wird. Essen ist günstig und das Fundament
des Friedens.
Negation: 24
Millionen Einwohner zählt die Stadt und dies sieht man am besten mit einem
Blick nach oben: Die Sterne scheinen vom Himmel gefallen zu sein, um die Stadt
zu erleuchten, um das Leben jedes einzelnen auf der Skyline zu repräsentieren,
doch dadurch fehlt der schöne Nachthimmel, es fehlt die Erhabenheit vor etwas
Größerem, etwas Tieferem, vielleicht auch etwas Verborgenem. Shanghai lebt und gedeiht
im Zentrum der Geschwindigkeit, und in der Zukunft wird sich zeigen, ob sie die
Sterne im Weltraum wahrnimmt, oder aber nur oberflächlich weiter leuchtet. Und
es gilt: Freunde lernt man nicht auf der Straße kennen, das habe ich in hart
erbrachter Erfahrung dort gelernt.
Perzeption: Ich
habe viel gesehen, aber was ich besonders empfehlen kann, sind diese vier Dinge:
a)
Shanghai Propaganda Poster Art Center ist ein
privat geführtes, unscheinbares, aber unheimlich interessantes Museum im
Basement eines normalen Wohnblocks in der französischen Konzession, in der man
sowohl den Geist Chinas als Kommunistische Diktatur unter Mao kennen lernt als
auch die interessante Poster-Kunst genießen kann.
b)
Von allen Clubs, die ich besucht habe, empfehle
ich: The Shelter für die fetteste Underground-Atmo
plus besten Underground-Sound, und rate davon ab: Bar Rouge, wenn man nicht gerade ein Ausländer über 40 ist, der
sich gerne eine Bar-Prostituierte jeglicher Nation abholen will. Und dafür
bereit ist im Vergleich zu anderen Clubs Shanghais übermäßig viel (bzw. überhaupt)
Eintritt zu zahlen.
c)
Shanghai World Financial Center – mit einem
aufregenden futuristischen Weg nach oben ist die Größe Shanghais von 474 m Höhe
aus ehrfürchtig zu erahnen.
d) M50 ist ein Zusammenschluss aus Kunstgalerien, in der die surréale, popart-ige Kunst der Chinesen ausgestellt wird. Für jeden Kunstinteressierten die Anlaufstelle schlechthin.
Kognition: Es ist
die Schnittstelle von Abendland und Fernost, der Kulturschock ist zwar groß,
aber immer noch der geringste im Vergleich zu anderen chinesischen Städten, die man zuerst anreisen würde.
Die Nanjing-Road... Wo viel Licht ist, sind auch viele
Schatten - ein psychedelischer eleganter Strudel und gleichzeitig die Synapse zu
den dunklen Orten, wo Sex und Drogen angeboten werden.
Am Tage sieht man sie nicht, aber zur Nacht erscheint
einen plötzlich jede Bar und jeder Club fast nur von Ausländern besucht.
Irgendwann wird man chinesischer als die Chinesen und denkt sich: Nicht schon
wieder ein Ausländer.
Metro-Fahren hört nie auf, Spaß zu machen, vor
allem in chinesischer Sprache: »Dong-an Lu, daole!«
True story: Auf
der Nanjing-Road gibt es drei Arten von Leute, die einem etwas verkaufen
wollen.
1.
Frauen unterschiedlichen Alters, die irgend
einen unsinnigen Spielzeugkram loswerden wollen [für Kinder grandios, aber wie kommt man auf die
Idee, zwei erwachsenen Männern das andrehen zu wollen?]. Viel
Bunt, viel Licht.
2.
Zwielichtige Chinesen, die einem entweder [in
der Originalaufzählung] »watches, mobiles, ladies« anbieten wollen, oder in einem Fall studentisch-hipstermäßige Chinesen, die schnell
von Massage über Ladies auf Sex konkreter
werden.
3.
Zwielichtige arabisch aussehende Personen, die
schnell an einem vorbeilaufen und dabei völlig vernuschelt und fast schon
fröhlich gesungen «Haschisch! Marihuana!» ausrufen.
Und das Strangeste, was mir in Shanghai passiert ist, habe ich bereits hier erwähnt: http://shanghaisurrealist.blogspot.com/2011/04/devil-satellite.html
Shanghai-Skyline: Pudong |
Modell der Shanghai-City |
Nanjing-Road |
Yu-Garden |
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