Budo und Baseball

Der Beitrag stammt von gestern.

17:41
Auf dem Weg zu meinem ersten Baseball-Game. Es markiert auch mein erstes Sportsgame ever, dass ich in einem Stadion live mitverfolgen werde. Die ganze Familie Murotani außer dem arbeitenden Rentaro sind auf dem Weg, cruisen quer durch die Kleinstädte, um bis  zum Stadion in Chiba City zu gelangen. Selbst im Auto läuft noch der Fernseher, und langsam krieg ich wieder das Gefühl, wie verdummend ein dauernd laufender Fernseher sein kann. Vielleicht wirkt das nicht so auf die Japaner, aber als empfindlicher Europäer spüre ich das neuronale Massensterben von zu viel Fernsehen.
Die Vorfreue ist auf jeden Fall riesig. In einem Buch über die japanische Seele, dass mir Mika geschenkt hat, wurde kurz erwähnt, dass Baseball anders als in den USA oder anderen Ländern viel mehr im Geist einer Kampfkunst praktiziert wird. Mir ist das auch vorher bereits aufgefallen, so fühlte ich mich in meiner Beobachtungsgabe bestätigt. Selber habe ich in einem Gaming-Center auf dem Dach Bälle geschlagen. Als einer, der selber von den Kampfkünsten kommt, kam ich mir sehr schnell wie ein Samurai vor, da ich im Moment bewusst leben und schnell reagieren musste, wenn der Ball mit wahlweise 100, 120 und sogar mal 140 km/h auf mich zugerast kam. Das Gefühl ist geil, wenn das richtige Timing und die gezielte Kraft mit Kime aus der Hüfte heraus den Ball ins Homerunning befördert. Wie ein getroffener Punkt in einem Karate-Wettkampf.

18:02
Mittlerweile weiß ich auch wer gegeneinander spielt, während ich auf das Stadium zulaufe. Nippon Ham Fighters vs. Chiba Lotte Marines. Oder um es mehr Ländermäßig zu verstehen: die Präfekturen Hokkaido gegen Chiba. Beides sind Teams von großen Konzernen Japans bzw. Süd-Koreanischen Ablegern.

18:28
Ich glaube, es hat begonnen.
Ganz so genau kann ich es aber nicht sagen. Irgendwie verwirrend das Ganze. Kriegerisch sehen die Spieler aber aus! Und die Mädels mit dem Tornister voller Bier, die hier verkaufen, sind süß.

19:11
Einfach so versteht man das Spiel nicht. Schon die Highschool-Meisterschaften im TV-Programm habe ich nicht begriffen. Das Spiel scheint scheiße kompliziert zu sein. Das einzige,  woran ich denke, während ich das Treiben beobachte, sind die Szenen von Kenny Powers aus Outward & Bound, die ich mir bei Gelegenheit auch mal wieder reinziehen muss. Und die hier schwer arbeitenden, meistens süßen Mädels mit dem wirklich schweren Bier-Tornistern auf dem Rücken.

20:04
Anscheinend steht es 3:2 für die Hokkaido-Spieler. Baseball ist aus meinem Batting & Pitching Selbstversuch ein Spiel, was nur richtig geil ist, wenn man es selbst macht - zusehen ist nett, aber nicht so spannend, wie man erwarten könnte. Doch ganz viel geht über Fanservice: Die Bälle, die man fangen kann, die Kamera, die einen auf der Tribüne auf die große Leinwand projiziert, all das begeistert die Menschen. Die Stimmung ist chillig, die großen Fangemeinden jumpen up and down und singen ihre Lieder, ich sitze beim Hokkaido-Flügel, also sind die Marines-Fans auf der anderen Seite zu sehen.
So langsam kriege ich wohl ein Gefühl,  wie es sein könnte, dass Beinahe-Literaturnobelpreisträger Haruki Murakami bei solch einem Spiel seiner eher mäßig guten Lieblingsmannschaft den Entschluss fassen konnte, mit dem Schreiben zu beginnen. Erwarte ich auch so eine endgültige martialische Entscheidung, endlich mit einem Roman zu beginnen? Vielleicht, es macht auf jeden Fall Spaß!

20:23
Gerade das Geilste überhaupt gegessen: Eis-Mochi! Mochi (so ne Art süßer Reisteig) gefüllt mit Vanille-Eis. Übelst geilon. Währenddessen: Ein Fighter dachte wohl, das wäre sein Homerun, so langsam wie der gelaufen ist. War es aber nicht, und ist geflogen. Haha.
20:30
Kleine Pause, Cheerleaderinen am abdancen und jeder Fan hält einen Luftballon zum Loslassen in der Hand, der mehr wie ein weißer Riesendildo aussieht. Derweilen gibt der Herr Kobayashi, Fan der Marines, langsam auf: 4:2 für die Fighters.
21:19
Das Spiel ist nicht vorbei, aber die Marines so gut wie (6:2). Also verlassen wir frühzeitig das Stadion, um das Gedränge zu entkommen, ich shoppe noch ein bisschen, um irgendeine handfeste Erinnerung zu besitzen, dazu gibt's noch coole Sticker in meinen eigenen Kanji ausgedruckt. Sowieso ist das hier ein Kommen & Gehen, ich bin eigentlich mehr der Tipp Anfang bis Ende, aber was soll man machen. Ich freue mich eh noch über das Abendprogramm, falls die Sprachbarriere nicht Grund für ein Missverständnis sein sollte. Izakaya und Karaoke, eines Westlers Lieblingsprogramm in Japan.

04:06
Ok, vom Karaoke-Singen Heim gekommen. Ultra geil!

Fazit vom nächsten Tag
Auch wenn ich eine gewisse Interesse und Faszination für Baseball niemals bestreiten kann, so ist das Spiel zum Anschauen für meinen Geschmack viel zu undynamisch. Es gibt natürlich die Momente, an denen jeder gebannt nicht wegsehen kann, aber meistens ist es ein entspanntes Abhängen im Stadion. Eben fast wie eine Meditation, worin wir im Bezug auf die japanischen Kampfkünste (Budo) von etwas Ur-Japanischem ausgehen können, das hier für sich entdeckt wurde. (Frage mich dann nur, was die Amerikaner so sehr an diesem Spiel finden.) Also kein Wunder, dass große Schriftsteller hier eine gewisse Epiphanie erleben können. Für diesmal reicht bei mir nur dieser Blog-Eintrag.


Herr und Frau Kobayashi


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