Sommernachtstraum auf Japanisch

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In den glücklichsten Zeiten ergibt sich ein besonders seltsames Paradoxon: Je mehr ich erlebe, umso schneller vergeht die Zeit, schmerzhaft spürbar und begleitet von der Traurigkeit des nahen Endes. Aber in Erinnerung wirkt diese Spanne so unglaublich gedehnt, so gefüllt an Eindrücken, sodass das Gehirn vielleicht die doppelte Arbeit leisten muss für das, was faktisch erlebt wurde. So auch jetzt, meine vier Wochen in Japan nähern sich dem jähen Ende zu, die letzten 24  Stunden verbringe ich in Ueno mit meiner stammkundlichen kazoku sowie im Haus meiner genauso geliebten Gastfamilie. Vier Wochen, die so schnell vergingen, dass ich Angst habe, so viel noch gar nicht erlebt zu haben. Vier Wochen, die sich jedoch auch wie zwei Monate erinnern lassen. Es ist ein seltsam zu beschreibendes Zeitgefühl, aber nicht nur ich empfinde so - mit Naoko, meiner Gastmutter, habe ich trotz gewisser sprachlicher Limitationen zur selben Erkenntnis gefunden.
Vor mir steht noch ein riesiges Packproblem vor, meine Geschenke aus Deutschland machen allein an Masse nur ein zehntel davon aus, was ich wiederrum aus Japan mitbringen werde. Ich wurde verwöhnt wie ein Kaiser, der auf einem seltsamen Planeten gestrandet ist und jetzt wieder zurückkehrt, vollbepackt mit tausend Dingen, die man trotz Globalisierung kaum in Europa zu Gesicht bekommt. Wie in einer epischen, noch unveröffentlichten Story des Weihnachtsmann auf einer Space Odyssee und auf Space Cookies zugleich.
Wohin kehre ich eigentlich zurück? Im letzten Monat gab es zwei riesige Explosionen in China, in Bangkok bringen Terroristen Angst und Schrecken, Nordkorea schießt auf Südkorea, und in Deutschland werden anscheinend alle Register der Gewalt von Rassisten gegen Flüchtlinge gezogen und ein Kulturkrieg gegen fremdenfeindliches Gedankengut entbrennt, worin ich gern bereit bin mich einzusetzen. Doch soviel bekommt man auch nur via Facebook mit - Japan und Asien haben jeweils ihre eigenen Probleme. Vor acht Jahren in Japan hatte ich das Gefühl, dass Europa längst in einem Krieg der Faschisten hätte untergegangen sein können, ohne dass wir was davon mitbekommen hätten.
Dabei bin ich ebenso wie viele andere ein lebender Beweis, dass es eine Verständigung über die unterschiedlichen Kulturen hinaus gibt.
Und ich reibe Tränen in die Augen der Menschen, die mir in diesen vier Wochen so nahe gekommen sind. Mich rührt es schrecklich, ich will sie alle trösten und ihnen versichern, dass wir uns bald wiedersehen. Aber was für ein kleine Lüge des Herzens das doch ist, die gegen die Erkenntnis der Vernunft nicht standhalten kann. Ich nehme mir vor, spätestens 2020 zu den Olympischen Spielen nach Tokyo zurückzukehren. Aber für das erste müssen wir alle die Jahren der Trennung akzeptieren.
Die ersten zwei Wochen waren das reinste Höllenfeuer, in der dritten Woche kühlte es ab, war aber deutlich feucht-warm und erst jetzt, in diesen letzten zwei Tagen, ist das Wetter unheimlich kühl, vielleicht wärmer noch als in Mitteleuropa, aber doch symbolisiert es das Ende des Sommers, der Spätsommer hat begonnen - wie Lana Del Rey dies unter den Jahreszeiten besingt: Summertime Sadness.
Nun sitze ich bereits im Flugzeug. Diesmal eine schüchterne, aber zumindest süße Japanerin auf dem Platz neben mir. Und auf dem Weg nach Österreich. Vielleicht bekomme ich ja noch Wien zu sehen. Auf jeden Fall muss ich mich von meinen zu eindrucksvollen Emotionen ablenken, die mich langsam und schubweise einholen. Ich schließe erstmal die Augen. Der Schwindel an Gefühlen wird schon früh genug eintreffen

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