diE paranoidE angsT voR zU vieleN dingeN


Nach vier Jahren Studium lasse ich endlich das WG-Leben ein für alle mal zurück und ziehe zum nächsten Schritt: mein eigenes Reich. Klingt größenwahnsinnig, und ist es in der Entfaltung meiner Ideen auch. Mit einer eigenen Wohnung fällt bei mir die Einstellung endlich weg, dass ich in den vier Wänden nur auf Zeit wohne. Sicherlich - auch in diesem Apartement werde ich nicht bis zum Verfaulen der Grundrisse liegen bleiben, aber in meinem Kopf stellt sich trotzdem der Schalter um von "Auf Zeit" zu "Permanent". Ich werde sozusagen sesshaft, ich verlasse das Pseudo-Nomadentum der Steinzeit und steige eine zivilisatorische Stufe höher, highend. Alles, was ich dort nun verwirkliche, soll so für eine Zeit definitiv bleiben. Um meine Möglichkeiten und Ideen vollends auszuschöpfen, werde ich auch meinen Besitz teilen müssen. All die Jahre seit meinem Auszug von Zuhause war mein Jugendzimmer in meiner Heimatstadt das sogenannte Base Camp. Hier lagere ich die wichtigsten Dinge, hier ist mein immerwährender Rückzugsort, mein Zion. Auch das bleibt noch bestehen, und dennoch ist die Entscheidung, irgendwo anders sesshaft zu werden, zusätzlich damit verknüpft, einen großen Teil meines tatsächlichen Besitzes nun umzulokalisieren. Das Base Camp bleibt bestehen, ideell, aber doch um meine Persönlichkeit an einem anderen Ort vollends zu etablieren, muss ich meine fetischisierten Objekte, woran meine Seele hängt, in einer neuen Kathedrale weihen.

Am Tag des Umzugs merke ich dabei ein sehr mulmiges Gefühl. Je mehr Kisten gefüllt werden, je mehr lange im Base Camp bestehende Besitztümer auf einmal woanders hinverfrachtet werden sollen, spüre ich eine innere Angst, welche meine Vorfreude verdunkelt. Wovor hat der Junge Angst?
Es ist ein bekanntes Gefühl, nur in einem anderen Maße und einem anderen Lebensformat. Jede Reise, auf die ich mich für eine längere Zeit begebe, besonders wenn ein achtstündiger Flug zum Zielland benötigt wird, löst dieselbe minimale Panik beim Packen aus.
Dabei handelt es sich nicht um die Eigenverantwortung. Die folgt den Regeln des Ersten Mals -  einmal getan, verfliegt sie und wird ein Teil der Gewöhnung und des Genuss. Es ist auch keine Angst vor der Zukunft oder allem anderen möglichen existenziellen Scheiß. Nein, es ist schlicht und ergreifend:

Die Angst vor zu vielem Besitz.


Weil die Psychologie und das Internet voll von aberwitzigen Berichten zu irgendwelchen crazy Phobien sind, habe ich mich kurz in einer Google Search-Aktion schlau gemacht, ob es einen Namen für das gibt, was mich beim Einpacken zu lähmen scheint. Dabei stieß ich auf folgende Begriffe:

1. Orthophobie: Angst vor Besitz
2. Chrometophobie: Angst vor Geld
3. Plutophobie: Angst vor Reichtum

Teilweise klingt es wie eine billig ausformulierte Psycho-Kombo, von irgendwelchen Scherzkeksen erdacht, die man eher unter B-Side oder noch eher: Demo-Witzen stecken sollte. Aber wer weiß, so unendlich unsere Psyche mit allen möglichen Fehlern im System bespickt werden kann, so glaube ich dem Orakel Internet auch, dass es solche ernst zu nehmenden psychiatrischen Krankheitsbilder gibt. Nur passt keines davon vollends zu mir. Denn ich bin nicht ernsthaft krank, sehe ich meine Angst teils psychologischen (nicht pathologischen!) Ursprungs und teils auch eines phenomenologischen.

Ich besitzte zu viel.

Was sehr anti-kapitalistisch, fast schon asketisch-kommunistisch anmutet, ist bei mir nichts weiter als eine Verunsicherung, wie ich so viele Dinge kontrollieren kann. Kann ich nicht. Die erste Frage, die sich bei eigenem Hinterfragen dieser Angst aus den Schwaden von Denkpups manifestiert, ist: Was ist, wenn ich plötzlich wieder ausziehen muss? Was passiert dann mit meinem Besitz?
Der Nomade in mir mag es kompakt, er will nur das Nötigste besitzen und jederzeit flexibel mit sich transportieren können: meine Kopfhörer, mein Tagebuch, mein Smartphone. Für andere noch Skateboard, ja, Unterhosen und Socken braucht man auch, ein vernünftiges Handtuch, und eine Wasserflasche. Alles ohne viel Leerraum zu hinterlassen in einem angenehm tragbaren Rucksack. So in etwa fühlt es sich an.
Bevor ich das Neuland vollends besetzt habe, fühle ich diese Verunsicherung in fehlender Flexibilität und Kompaktheit. Es ist ein Denken des Minimalismus, mit dem geringsten Set an Tools das Grundlegende erledigen zu können. Jeder zusätzliche Besitz kann dir leichter weggenommen werden, mit Besitz kommt die Angts vor Verlust. Und da wären wir auch schon bei den klassischen Psychoanalytikern, irgendein Freudianer oder Lacanier kann da mehr dazu erzählen und hat sein eigenes Set an Vokabular.
Mit der eigenen Wohnung wird der Zwang sogar noch schlimmer, es kommt zu exponentiellem Wachstum von neuen Dingen, die zuvor in WGs immer schon da waren und nur mitbenutzt wurden, anstatt sie selber im großen Goldrausch einzukaufen, und nun fehlen und selber besorgt werden müssen. Dabei werden auch sie zu einem Teil von einem selbst.

Ein Sprachbild davon hat sich so in meinem Kopf eingebrannt: dass das Glück mich mit einer geladenen Beretta am Kopf zu dem ganzen Unternehmen zwingt. Oder ist es nur der Wolf im Schafspelz und das wahre Glück liegt im Verzicht? Ehrlich gesagt, klingt das für mich viel zu sehr nach new age.

Für dieses Gefühl der KOMPAKTHEIT habe ich aber noch ein anderes Beispiel, über das ich schon lange mal schreiben wollte. Irgendwie lässt mich ein möglicher Zusammenhang nicht los zwischen dieser paranoiden Angst vor zu vielen Dingen und der schizoiden Angst meiner eigenen Körpergrenzen. Manchmal brauche ich es, dass meine Liebste sich auf meinen Rücken legt - die liebevoll genannte Krokodil-Stellung. Das Gewicht auf mir verdeutlicht meine Trägheit, damit meine Masse und meine klaren körperlichen Grenzen. Eine längere Abstinenz vom Training verursacht die selbe Sehnsucht, meinen Körper im Raum genau zu spüren. Dadurch wird der Drang, wieder Sport zu machen, fast schon unerträglich, und die Muskelkater danach sind wie ein schmerzhaftes Gerüst an Erinnerung, die mich orgiastisch stimmen. Ich muss meine Definition justieren.
Schwerkranke Patienten, die lange im Bett bleiben, werden in der Pflege mit Kissen fest und fast schon einengend gelegt, damit auch sie ihr Körpergefühl nicht verlieren - was bei langer Immobilität anscheinend schnell der Fall ist.

Kompaktheit als das wahre Glück macht mehr Sinn für mich, da es auch Harmonie und Ordnung bezeichnet, doch ab und zu müssen für die Balance diese benötigten Grenzen mit aller Gewalt wieder gesprengt werden. Chaos ist ein zu schönes Gefühl auf Zeit, als dass wir nie erfahren dürften, was es mit dieser dunklen Befriedigung auf sich hat. Dabei stelle ich mir wunderbar filmisch mein Körper und Geist vor, wie es völlig flüssig schmilzt und gleichzeitig von Innen heraus in tausende Fetzen von digitalen Bits explodiert, nur um dann dynamisch mitten im Geschehen einige Zeit lang in Slow Motion konvulsiv zu erstarren und dann wieder in seinen rekonfigurierten Originalzustand zurückzubatschen. Klingt trippy - und je heftiger, desto besser.

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