Auch Menschen sind Raubtiere

18. Juli. Otjiwarongo, Namibia.

Namibia fühlt sich im Großen und Ganzen sehr sicher an. Es ist kein verlorenes Land wie andere in Afrika von Bürgerkrieg und Warlords zerrissenen Kadaver von dem, was wir als Staat noch anerkennen können. DENNOCH - Dennoch ist es nicht so, dass die Schwarzen best friends sind mit den Weißen. Das Verhältnis ist stabil, aber massiv gestört. Dabei verkennen die Leute, immer und überall, dass das Selbstbewusstsein die größte Rolle spielt. Diese wurde bei den Schwarzen so systematisch vernichtet, dass es noch weitere Jahrzehnte brauchen wird, das Ausschalten der weißen Dominanz und den Stopp der Ausbeutung durch Länder des Westens und China, um irgendwas daran zu ändern.

Dieser Text handelt davon, dass ich dem Menschen als Raubtier in die Augen blicken musste. Armut macht Menschen unberechenbar.

Wir sind auf dem Weg zu Dritt in die Safari Zone, übernachten an einem Ort, das mehr wie Afrika wirkt als nach Deutschland, wie es noch in Swakopmund der Fall war. Es sollte sich allerdings noch nach einem wilderen Afrika anfühlen, als ich es gedacht hätte. Nahe dem Herz der Finsternis.
Als wir einige Besorgungen machen mussten, wollte ich nicht extra raus und unseren fetten Leihwagen unbeaufsichtigt zurücklassen. Da nämlich kein offizieller Parking-Wächter (erkennbar an einer orangenen Sicherheitsweste) in der Nähe war, blieb ich im Wagen, um nach dem Rechten zu sehen. Im Grunde wars Faulheit. Während also die anderen Verpflegung und Geld besorgten, saß ich da und wurde irgendwann gewahr, dass ein Farbiger mit krassblauen Augen auf mich zukam. Er trug eine besagte Sicherheitsweste, was ihm einen offiziellen Touch gab. Er lächelte nett, kam nah an meine Beifahrerseite, und versuchte die Tür aufzumachen. Zeit zum Stutzigwerden blieb nicht, ich war überrascht, da gleichzeitig auf der anderen Seite mir diagonal entgegen auf der Hinterbank ein Zweiter versuchte, die Tür zu öffnen. Irgendeiner glücklichen Fügung nach war das Auto verschlossen. Aber auf den Rücksitzen waren eine Kamera und eine Frauentasche recht offen und locker zu klauen gewesen.
Natürlich war das ein Scam, ein Betrug, ein versuchter Diebstahl. Ich realisierte erst langsam, was für eine Dreistigkeit das überhaupt war. Doch der Farbige mit den blauen Augen stand immer noch da, klopfte nun schüchtern ans Fenster, während der Zweite längst weitergezogen ist. Ich sammelte mich, machte die laute Musik leise genug, was mir Zeit gab. Kontrollierte alles, sowohl im Inneren des Autos, als auch in mir selbst, und öffnete dann behutsam und nur einen Spalt weit meine Tür.

"Is there any problem?", fragte ich ihn genervt, wenn auch etwas nervös im Inneren.

"Do you go to Wondhoek? Can you take me with you?", fragte er mich unschuldig.

"No, we stay here."

"Ok, then...", und geht wieder.

Er blieb nur da und fing das Gespräch an, um seine Unschuld vorzugaukeln. Dass die Aktion gerade eine Masche war, eine geschickte und wohl auch erprobte bei den Touristen, die hier Halt machen auf dem Weg zum Etoscha Nationalpark, liegt blank auf der Hand.
Als meine Mitstreiter zurückkamen, schilderte ich ihnen die Situation, und wie vorsichtig wir nun in allen Aspekten sein müssen; dass das hier nicht mehr Swakopmund ist. Die Kamera wurde verstaut, die Tasche so eingedrückt zwischen Vorder- und Rücksitz, dass die Schrecksekunde des Touristen nicht reicht, um dieses Gepäck zu reißen.

Unsere Einkäufe waren noch nicht ganz beendet, wofür wir eine Straße weiter an einem nächsten "Einkaufszentrum" halten mussten, und diesmal blieb ich zur definitiven Sicherheit im Auto. Während ich mich langsam beruhigte und in Sicherheit wog, öffnete sich urplötzlich die Tür neben mir und eine Stimme fragte:

"Hi, how are you?"

Ich war zutiefst erschrocken, mit bebender Stimme meinte ich nur "Thanks, I'm fine", während ich die Tür wieder schließen möchte - doch er hält dagegen, mit Kapuze auf und einem abgefuckt freundlichen Grinsen. Es war ein anderer diesmal. In dieser Schrecksekunde, während ich noch versuche, die Tür wieder zu schließen, blicke ich schnell nach hinten und sehe mit kaltem Schrecken, wie der Komplize in meine Privatsphäre eingedrungen ist, kurz alles abtastet, mich sieht und dann so gelassen, als wäre nichts, und einem (eingebildeten?) enttäuschten Grinsen die Tür wieder schließt und langsam mit dem Ablenker von dannen zieht...

Schnell überprüfe ich die Hinterbank, könnte der Dieb etwas mitgenommen haben? Wenn etwas geklaut wurde, dann ist es meine Schuld, geht durch meinen Kopf. Aber warum waren diesmal die Türen nicht verschlossen, während sie es vorhin waren?
Beim ersten Mal war ich empört von der Dreistigkeit. Diesmal bin ich verstört. Es war so leicht für die Räuber, diese heilige Sphäre zu durchbrechen, diese Aura, die wir instinktiv um uns spüren. Ansatzweise verständlich wird da der gewaltige Bruch mit allem Sicherheitsgefühl bei Einbrechern im eigenen Haus... oder gar bei Vergewaltigung.

Mitgenommen haben sie nichts. Daher das enttäuschte Grinsen auf dem Gesicht dieses Raubtiers. Aber seit diesem Moment bin ich geschärft, mein offen getragenes Jagdmesser an der Seite meines Hosenbundes, welches vorher in meinem Bewusstsein nicht mehr als ein Accessoire diente, wurde plötzlich zu einer realen Waffe, einem Statussymbol, einem Verteidigungsmittel.
Daher bin ich auch froh in einem Land wie Deutschland zu leben, in einem Eruopa, wo nicht nur Wohlstand herrscht, sondern auch Sicherheit mit diesem Wohlstand erkauft wird: aber nicht in Form von Zäunen und gepanzerten Autos, sondern - wenn man so will - mit  Hartz IV. Das ist ein Gedanke, der mir nach dieser Geschichte klar wurde, dass in jedem Menschen dieses Räuberische herrscht, und wenn jemand nichts mehr zu verlieren hat, wird dieses Potenzial heraufbeschworen.

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