SWAKOP SWAG: Wie ich am Ende der Welt feiern war


16./17. Juli. Swakopmund, Namibia.

Nach einem wilden Tag des Fightens, die 8. JSKA Karate Weltmeisterschaft, geht nichts über eine ordentliche SAYONARA PARTY. Nicht nur, um all den neu gewonnen internationalen Freunden Auf Wiedersehen! sagen zu können, sondern auch um seinen allzeit fokussierten Kampfgeist ins Nirvana zu schießen, mit Alkohol, viel Alkohol. Die Schotten machen es vor. Auf der Tribüne die lautesten, im Ring die sympathischsten, auf der Party die craziesten. Da kommt Nicki, der mich hart an den Sänger aus TOTOs Video "Africa" erinnert, nur besser aussehend, natürlich im schottischen Kilt, mitsamt Messer und eine Bottle of Scotch. Leute wollen sogleich Fotos mit ihm machen, ich feier es ab und freue mich, ihn nochmal in die Arme zu nehmen. Marc, der andere Schotte aus meiner Altersklasse, sprach nicht viel während des Tuniers, und wenn er was sagte, konnte ich aus seinem hart schottischen Dialekt nicht mal die Hälfte davon ausmachen, was er mir wohl sagen wollte. German Felix und ich schauten uns an, beiden stand das Fragezeichen groß geschrieben im Gesicht. Wir drehten uns zurück und nickten und grinsten und nickten nochmal. Gegen so eine Sprachgewalt fühlte ich mich plötzlich einfach nur hilflos unfähig. Jetzt auf der Party erscheint er in Jeansshorts mit weißem Hemd, grinst selber breit und weit, wie ein verschmitzter kleiner Junge, und ist der Erste, mit dem ich an diesem Abend das Glas runterkippe. Am Trinkstand, wo die Wahl zwischen relativ okayem irischen Whiskey und einem billigen schottischen Gegenstück selbst den Schotten eher auf das "ausländische" Produkt leichter fällt, lernen mein Paps und ich Jimmy besser kennen, ein Vater und Sensei, der Zweite im Kilt, der stolz von seiner Tochter berichtet, von Pferden, vom Boyfriend seiner Tochter, von Schottland, und uns für unser Ohr und unsere neu gewonnene Freundschaft beibringt, wie man richtig Whiskey zu trinken hat. Niemals pur, immer mit einem Schuss Wasser, aber sonst nichts - um den Geschmack wirklich wertschätzen zu können. Ein anderer schottischer Vater, der kein Kampfsportler ist, aber ein richtiger Trinker, widerspricht dem und schluckt das Glas pur runter in einem Zug. "You bloody...", kommt es aus Jimmy heraus. Ausgelassene Stimmung. Ein wenig einfach sind diese Jungs, aber in ihrer rohen Herzlichkeit äußerst sympathisch. Allein durch die Schotten bin ich irgendwann auf fünf Doppelte gekommen.

Eine der Mütter aus Scottland, die zu Unterstützung dabei waren, ist eine regelrechte Puma wie aus einem Fabelbuch. Sie kommt an den Tisch, wo unser deutsches Team sitzt, fragt mich nach der Flasche Wein, die da steht, und ich in meiner absoluten Ausgelassenheit meine nur, sie solle sich gerne bedienen. Sie kippt sich ein Glas voll und haut dieses sofort wieder weg, nimmt ihre Hand an mein Gesicht und feuert mir dergeschwind ein gehauchtes, betrunkenes Schottisch ins Ohr, dass meine Augen und mein Kopf zu beben beginnen (ich bin selber schon gut durch). Was ich aus ihrer AK-47-Feuersalve nur entnehmen kann, waren die gewichtigen kritischen Sätze "I am a bad mother." und "I would like to dance with you sometime.", deren Kontext klar ist und mir ein absolut abstruses Boner Alert gibt.
Der Gentleman, der ich sein will - und auch ein wenig aus Scham, verwies sie auf später, dabei tätschelt sie mir den Kopf, gibt mir ihre Hand, die ich küsse, und geht weiter.

Neben den Vollbluteuropäern waren die Namibianer tatsächlich die nächsten Helden dieser Meisterschaft. Von den Südafrikanern, die ich noch in bester Erinnerung hatte, war kaum einer der mir bekannten Truppe da. Sonst nur seltsam respektlose und arrogante Kämpfer, die auf der Party nicht erschienen sind. Aber eben die Namibianer, in Hülle und Fülle - leider kaum ein Schwarzer (ein Hinweis auf ein immer noch gestörtes Verhältnis zwischen den Farben). Das Treffen mit den weißen Namibianern, die alle ihre Wurzeln in Deutschland haben, war einer der spannendsten und interessantesten Begegnungen, die ich in letzter Zeit mit jungen Menschen hatte.
-- Was uns als deutsche Truppe vielleicht zu den geheimen Stars gemacht hat. Nicht nur waren alle extrem scharf auf unsere JSKA Germany-Jacken, deren Design & Auswahl ich diesmal auch gelungen fand, sondern es war eine regelrechte Mystifizierung unserer Herkunft. Weiße namibische Kinder kamen zu uns und fragten fast schon ungläubig, ob wir wirklich aus Deutschland kämen. Eine äußerst hübsche rothaarige Milf, mit der ich öfter während des Tuniers Augenporn veranstaltete, kommt auf der Party zu mir, und gibt mir ihre JSKA Namibia-Jacke im Austausch für ein Foto mit mir. Sie meint im perfekten Deutsch, dass sie aus Hamburg kommt. In meinem Kopf zweifel ich, kommt sie wirklich aus Hamburg im Sinne: dort geboren und aufgewachsen, oder stammt sie und ihre Familie von dort? Ich war allerdings gerührt, und in ihrer Gabe der Trainingsjacke war viel Herz und vielleicht auch ein wenig Nostalgie zu finden.
Die Namibianer meines Alters sprechen so gut wie alle auch feines Deutsch, mit einem leichten sexy Afrikaans-Akzent. Dabei sieht man einigen (zum Glück auch) eine genetische Vermischung mit Farbigen an. Was dem Ganzen einen möglichen derb-arischen Unterton entzieht, und dafür etwas anderes gibt - etwas vom Faschismus und Antisemitismus Befreites, was sonst leider zu deutlich noch im heutigen Deutschland zu finden ist. Sicherlich, die ersten Kolonisten waren meist ethnische Verbrecher in einem Land, das ausgebeutet wurde, aber andere Familien sind auch aus pazifistischen Gründen nach Afrika gekommen, um zum Beispiel dem Wahnsinn des Ersten Weltkriegs zu entfliehen, wie mir einer erzählte. Die jungen Leute hier haben einen unschuldigen Blick auf Deutschland, ihnen lastet nicht diese Erbsünde des Dritten Reichs an, von dem sie ja auch glücklicher Weise nie so richtig Teil waren.
Jeder junge Mensch hier hat Deutschland bereits besucht, ob im Zuge eines Austausches, eines Schuljahres oder sogar des Studiums. Ein Junge hat sich witziger Weise BUXTEHUDE zum Studieren ausgesucht. Der Name gefiel ihm. Fuck me, muss ich da lachen, aber aus reinster Sympathiebekundung.

Zwar schon massiv angetrunken, aber immer noch Herr über alle meine Sinne, schaue ich mir die Tanzgesellschaft an (die Party fand in derselben Turnhalle statt) und musste doch schon auch schmunzeln, was das doch nur für crazy white people sind. Ich komme nicht umhin zu bemerken, wie sich die Scottish Cougar an Marc ranmacht, der so gelassen war mit ihr zu tanzen, sowie an dem wohl erst 16-jährigen kleinen Hongkong-Schotten, der mit seinem Vater ohne Karateanzug aber wohl als solidarer Teil dieser schottischen Familie mitgekommen ist. Dieser arme Junge versucht sich aus ihren Klauen zu befreien und RENNT tatsächlich vor ihr weg! Was für eine Komödie!
Meine Zeit zum Dancen war noch nicht gekommen, diese steht allerdings unmittelbar bevor. Wenn die Kinder schlafen gehen, sozusagen. Denn es gibt ja noch die zwei "Clubs" in der Stadt.

Was für einem Urban Life kann denn die Kleinstadt-Jugend hier frönen? Swakopmund zählt gerade mal 40.000 Menschen, und Windhoeker halten sie für "gar nicht weit weg", was doch ein Witz sein muss bei fast fünf Stunden Autofahrt-Entfernung. Wenn Windhoek so wie Lübeck ist, dann ist Swakopmund dessen Travemünde, wollen die mir damit sagen. Passt ja auch, weil Swakopmund als Küstenstadt sogar die Namensgebung teilt, denn der Fluss Swakop mündet hier. Aber ihr versteht nun die absurde Relation in diesem Land, oder?
Also, die Auswahl steht zwischen zwei Clubs, die hier an den Ufern des Altantik zum Eskalieren reizen: das NAPS, wo solche Musik gespielt wird  a la (ich zitiere nur) "Utz Utz Utz", und das VINTAGE - letzteres besuchen wir dann. Meinen Karate-Mitstreiter Felix muss ich noch ein wenig überzeugen, dass diese Erfahrung hier eine einmalige Chance ist, und er lässt sich auch vom Teufel in mir verführen, und bereut es später kein bisschen, so erleben wir doch eine exotische Party-Nacht am Ende der Welt!
Hermann the German, ein etwas kleiner dunkelhaariger Mix-Namibianer, versichert uns, dass er uns hinfährt und dann auch zum Hotel zurück, und ich knüpfe sofort eine Bindung zu ihm, weil ich weiß, was für ein echter Spaß es sein kann, betrunkene Leute zu erleben, wenn einer selbst nüchtern bleibt.

Das VINTAGE ist einfach mal so gelegen, als würden wir den geheimen Party-Wintergarten irgendwo zwischen den elterlichen Mittelstandsfirmen auf einem Gewerbegebiet besuchen. Fette Karren parken drum herum, der Laden selbst ist gut besucht, doch wieder spüre ich einen gewissen Stich im Herzen, dass auch hier kein einziger Schwarzer aufzufinden ist. Die Menschen tanzen nicht so wie in Deutschland, jeder für sich und dazwischen mal mit obszönen Quasi-Korpulationen, sondern es ist ein heiterer Männlein-führt-Weiblein-an-der-Hand-Polka.
Eine Frau am Keyboard, ein Mann an der Gitarre und zwischen ihnen ein Laptop bieten einen abgefahrenen und so noch nie erlebten Mix aus Live- und DJ-Musik, mal lassen sie nur den Laptop zu, mal spielen und singen sie alleine ihre Songs vor, und meist läuft einfach genial beides in Kombination. Fucking geile Clubrotation! An ausgewählter Musik kommt dabei alles wild von Rock bis Pop und Club Music vor, aber am spaßigsten und eigentümlichsten ist dann der Afrikaans Sound. Es klingt wie ein abgefahrener Remix aus American Country mit Bluegrass-Banjo, ein wenig altertümlich, ein wenig Schlager, aber alles auf Afrikaans und dadurch spaßig originell und spritzig.

Nick, einer der guten namibianischen Jungs der Stadt mit viel Swakop Swag, bringt mir noch die wichtigsten Grundzüge des Afrikaans Slang bei. Wenn etwas einfach nur gut ist, bejahend, und du deinen Bro adressierst, sagen die Namibianer:
Aweh bra! [eher Englisch ausgesprochen]
Und wenn ein Mädel heiß ist oder andere Dinge deine Sinne verzaubern, sagen sie gerne:
Lekker!
So lobe ich mir eine erstklassige Eskalation, ohne böses Blut, ohne großes Drama, aber mit viel Spaß und vielen Eindrücken, die ich dann auf der nächsten europäischen Party von mir geben kann: "Ey, wisst ihr, ich war mal in einem Club in Namibia...", werde ich dann wohl zu erzählen beginnen. Das Wichtigste war aber, dass diese Leute in Swakopmund sich so wundervoll um Felix und mich gekümmert haben, wir waren wohl behütet, unser Alkohol zahlte sich tatsächlich von selbst, willkommene und geehrte Gäste bei einer großen Familie am anderen Ende der Welt.

Kommentare

Beliebte Posts