Etappe II: Chongming
Asiatische Teenager sind sowas von anders, und doch nur äußerlich, denn die  Seele des jungen Menschen ist dieselbe. 
Chongming ist die dritt-größte  Insel Chinas, gehört zu Shanghai und zeichnet sich durch den Orangenanbau und  anderer Landwirtschaft aus. Die Luft ist frischer als in der Shanghaier City und  die Leute hier vor Ort freundlicher und weniger gewöhnt an Westler. Zudem  zeichnet sich die Population durch einen eigenen Dialekt des Shanghainesischen  aus, also ein Dialekt sogar eines Dialektes. Jack, mein neuer chinesischer  Freund, hat mir erzählt, dass selbst er, ein gebürtiger Shanghaier, den  Chongming-Dialekt nicht versteht. Chongming ist ca. 2 Stunden Busfahrt von der  Großstadt entfernt 
Hier auf der Shanghai Yangzi Senior Highschool werde  ich meine Lehrtätigkeiten ausüben, doch diese erste Woche, diese zweite Etappe  meiner Reise, besteht nur aus Beobachtung. Ich habe im Verlauf der Woche so gut  wie die Hälfte aller Klassen von Senior 1 und 2 besucht, ihren Unterricht  verfolgt, mit den jeweiligen Englischlehrerinnen (ebenso auch Englischlehrer)  gesprochen und – vor allem den Superstar für die Schüler  abgegeben.
Es ist unglaublich: An meinem ersten Tag konnte das Grinsen auf  meinem Gesicht nicht aufhören, weil ich so unendlich aufgeregt und nervös war,  es war ein Hardcore-Sturm in meinem Bauch, zudem war der erste Tag fürchterlich  nass und kalt, weshalb ich regelrecht am Zittern war. Das war irgendwie eine  berauschende Erfahrung, aber war auch beängstigend. Mittagessen in der  Schülerkantine war das Gefühl von tausenden jungen asiatischen Augen, die  einen mit voller Freude und Zuversicht und auch Neugier anstarren. Es wird  getuschelt, es wird heimlich fotografiert – oder mal auch weniger heimlich,  sodass ich mich sogar positionieren kann. Und ich werde auch angesprochen, von  den wenigen ersten Mutigen.
Bis zum Mittwoch gewannen die Schüler immer  mehr an Zuversicht und genügend Selbstbewusstsein, um mich sogar bei meinem  Haus zu besuchen, mich zum Basketball Spielen mitzunehmen, mich an ihren Tisch  während des Mittagessens einzuladen, mir Komplimente zu machen, überhaupt mit  mir zu reden, und – das seltsamste bisher – mich um eine Umarmung zu bitten  (ausgehend von einem Jungen, welchem dann mehrere Mädchen folgten). 
Die  Fragen, die mir bisher gestellt wurden, sobald sie ihren Mut gefasst  hatten:
Where do you come from? (several times)
What about your parents? (1x)
Do you have a girlfriend(s^^)? (2x von Jungs, 2x von Mädchen)
What are your hobbies? (2-3x)
Do you like basketball? (1x)
Do you like Chinese food? (several times)
Do you speak Chinese? (few times)
What is your job? (1x)
What is your favorite music/singer? (few times)
What about your hometown? (1-2x)
How long do you stay here? (1x)
Can I get a hug from you?^^
Und weitere solcher Fragen..
Charakterisierung: Die Jugendlichen unterscheiden sich  sehr stark von denen in Deutschland, wie gesagt von der Oberfläche her, also  dem Aussehen und den Verhaltensweisen. Dies ist eine Senior Highschool mit  Schülern zwischen 15 bis 18 Jahren, vergleichbar mit einer Oberstufe von Klasse  10 bis Klasse 12. Ich unterrichte somit 10. und 11. Klässler. Nun stelle ich  mir wieder meine Zeit vor, die nicht allzu lange her ist, und streiche einen  bemerkenswerten Unterschied heraus: Sie wirken um Weiten jünger und vielleicht  vor allem kindlicher, wissen aber bereits viel früher, was ihre Zukunfspläne  sind. Es sind wie viele kleine Animefiguren, die umhertollen und in einer  Quasi-Hysterie verfallen, wenn sie mir nur zu nahe kommen. Die Mädels versammeln  sich um mich, mit den Finger an ihre Wangen gedrückt, einige kauern sich im  Sekundentakt in eine Hockposition und wieder hoch, rufen aus mit gekreuzten  Augen „You're very handsooooome!“; die Jungs versammeln sich um mich, keiner hat  den Gedanken an die erste Rasur gewagt, alle sind zu schüchtern zu fragen und  platzen doch vor Neugier – alles in allem in einer chaotischen  Dynamik.
Einige sprechen gutes Englisch, viele aber weniger gut, und  auffällig während des Unterrichts ist das Männer-Frauen-Klischee: die meisten  Jungs, die etwas vortragen musste, haben mit einer unglaublichen Stimmbruchtiefe  in sich hinein gemurmelt und Englisch wie Chinesisch gesprochen, während in der  Regel die Mädchen eine weitaus bessere Aussprache hatten. 
Lady GaGa auf der  einen Seite und Justin Bieber auf der anderen sind die Top Westlichen-Einflüsse  im musikalischen Bereich. Bei Justin Bieber muss ich sie immer enttäuschen,  aber da ich für Lady GaGa ein surrealistisches Interesse hege und sogar einige  Songs wirklich mag, kann ich da doch noch Brücken zu ihrer Jugendkultur  setzen.
Ansonsten ist es wie auf jeder Schule: es gibt die Styler, die  Sportler, die Intellektuellen, die künstlerisch Veranlangten, die Nerds, die  Streber, die Aussenseiter; es gibt die, die viel reden und die, die gar nichts  sagen; 50% laufen mit einer Brille herum, die Jungs haben in der Regel kurzes  oder etwas längeres gestyltes Haar – aber nie wirklich langes Haar; die  Mädchen tragen entweder einen Zopf oder einen Dutt, oder haben kürzere gerade  Haare, zum Bob geschnitten – aber die längeren Haare werden nie offen  getragen.
Nächste Woche beginne ich mit dem Teaching. Doch vorerst werde  ich ein weiteres Wochenende in Shanhai verbringen, zwischen dem dunklen  Neonschleier der Nanjing Road und dem traditionellen China des  Yu-Gardens.



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